Beleidigt werden   Wer wirklich sich bewußt ist, einen Vorwurf nicht zu verdienen, darf und wird ihn getrost verachten. Dagegen aber fordert das Ehrenprincip von ihm, daß er eine Empfindlichkeit zeige, die er gar nicht hat, und Beleidigungen, die ihn nicht verletzen, blutig räche. Der aber muß selbst eine schwache Meinung von seinem eigenen Werthe haben, der sich beeilt, jeder denselben anfechtenden Aeußerung den Daumen aufs Auge zu drücken, damit sie nicht laut werde. Demzufolge wird, bei Injurien, wahre Selbstschätzung wirkliche Gleichgültigkeit verleihen, und wo dies, aus Mangel derselben, nicht der Fall ist, werden Klugheit und Bildung anleiten, den Schein davon zu retten und den Zorn zu verbergen. Wenn man demnach nur erst den Aberglauben des ritterlichen Ehrenprincips los wäre, so daß Niemand mehr vermeinen dürfte, durch Schimpfen irgend etwas der Ehre eines Andern nehmen oder der seinigen wiedergeben zu können, auch nicht mehr jedes Unrecht, jede Rohheit, oder Grobheit, sogleich legitimirt werden könnte durch die Bereitwilligkeit Satisfaktion zu geben, d. h. sich dafür zu schlagen; so würde bald die Einsicht allgemein werden, daß, wenn es an's Schmähen und Schimpfen geht, der in diesem Kampfe Besiegte der Sieger ist, und daß, wie Vincenzo Monti sagt, die Injurien es machen wie die Kirchenprocessionen, welche stets dahin zurückkehren von wo sie ausgegangen sind. - Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit. Zürich 1977
 

Beleidigend

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