elämmerung
Wir verdanken Heinrich Conrad die Veröffentlichung
eines Tagebuches, das Elisa von der Recke, erst seine Schülerin,
dann seine Kritikerin, über Cagliostro geführt hat. Gegen dessen letztes
Aushilfsmittel kommt kein Räsonnement an. Wenn die Sache schwül wird, geht
er vom Stolz auf sein Wissen zu äußerster Demut und scheinbarer Gewissensnot
über; auch um seine eigene große Seele rängen,
wie um die seiner Schüler, gute und böse Geister. Ein hoffärtiger Schwindler
ist auch bei starker Hörigkeit seiner Schüler
noch zu durchschauen, muß er doch auftrumpfen, fortwährend neue Versprechungen
machen, neue Erfüllungen geben. Aber wer kann einem demütigen, gelegentlich,
wenn es brenzlig wird, scheinbar in Gewissensnot befindlichen Heiligen
zu Leibe gehen? Nicht einmal er selbst. Einmal passiert dem bäuerlichen
Sizilianer das Mißgeschick, in Gegenwart der baltischen Baronin eine Zote
zu erzählen. Und sie, die von ihrem Glauben durch keinen Zuspruch abzubringen
war, ist nun in ihrer Herzenskultur gröblich verletzt. Nun »verlor Cagliostro
ganz mein Vertrauen«. Nun glaubt sie - was? Daß der vorgebliche Graf ein
Bauerntölpel ist? Daß der vorgeblich bei allen großen Meistern des Orients
und Okzidents in die Lehre Gegangene in Wahrheit ein dummer Jahrmarktsverkäufer
ist? Sie schließt beinahe umgekehrt, daß Cagliostro nunmehr gänzlich »den
bösen Geistern anheimgefallen« sei. In demselben Augenblick, da er ihr
Vertrauen enttäuscht, ihr Herz beleidigt, wird - weit gefährlicher! - ihr
Mitleid rege. - Carl Christian Bry, Verkappte
Religionen. Kritik des kollektiven Wahns. Nördlingen 1988 (Greno 10/20
85, zuerst 1924)