ekehrung Von der historischen Bühne verschwanden die Chasaren samt ihrem Staat, nachdem sich abgespielt hatte, wovon hier am meisten die Rede sein wird — nachdem sie von ihrem ursprünglichen und uns heute unbekannten Glauben zu einem der drei (wieder weiß man nicht, zu welchem) bekannten Glaubensbekenntnisse jener und dieser Zeit bekehrt worden waren — zum hebräischen, islamischen oder christlichen. Alsbald nach der Bekehrung erfolgte nämlich der Zerfall des chasarischen Reiches. Einer der russischen Heerführer des 10. Jahrhunderts, Fürst Svjatoslav, verspeiste, ohne vom Pferd zu steigen, das Chasarenreich wie einen Apfel.
Die Residenz der Chasaren am Kaspischen Meer, im Mündungsgebiet
der Wolga gelegen, zerstörten die Russen im Verlauf acht schlaflos zugebrachter
Nächte im Jahre 943, und zwischen 965 und 970 zerschlugen sie den chasarischen
Staat. Augenzeugen vermerkten, daß die Schatten
der Häuser in der chasarischen Residenz noch lange nicht einstürzen wollten,
nachdem die Gebäude selbst schon längst vernichtet waren. Sie verharrten
im Wind und im Wasser der Wolga. - (
pav
)
Bekehrung (2) Die kreisförmige Anordnung
der Hütten rings um das Männerhaus ist für
das soziale Leben und den Kultus von so großer Bedeutung, daß die Salesianer-Missionare
in der Gegend des Rio das Garças sehr schnell begriffen haben, daß das
sicherste Mittel, die Bororo zu bekehren, darin besteht, sie dazu zu bringen,
ihr Dorf gegen ein anderes einzutauschen, in dem die Häuser in parallelen
Reihen angeordnet sind. Da die Eingeborenen nun
in bezug auf die Himmelsrichtung desorientiert und des Plans beraubt sind,
der Grundlage ihres Wissens ist, verlieren sie schnell den Sinn für die
Traditionen, so als wäre ihr soziales und religiöses System
zu kompliziert, um des Schemas entraten zu können, das durch den
Plan des Dorfs offenbar wird und dessen Umrisse ihre alltäglichen Gesten
immer aufs neue auffrischen. - (
str2
)
Bekehrung (3) Scheich S. lebt in einem kleinen Haus mit Blick auf das Grabmal seines Großvaters, des Mahdi. Auf Papierbögen, die mit Tesafilm zusammengeklebt sind, damit sie eine Schriftrolle ergeben, hat er ein Poem von fünfhundert Stanzen im Stil und im Versmaß von Greys »Elegie« geschrieben. Es trägt den Titel »Klage über die Zerstörung der Sudanesischen Republik«. Er hat mir Unterricht in Arabisch gegeben. Er sagt, daß das »Licht des Glaubens« auf meiner Stirn stehe, und hofft, mich zum Islam zu bekehren.
Ich sage ihm, daß ich nur dann zum Islam übertreten werde, wenn er einen Dschinn heraufbeschwört.
»Dschinns«, sagte er, »sind heikel. Aber wir können es versuchen.«
Nachdem
wir einen Nachmittag den Suk von Omdurman nach der richtigen Sorte Myrrhe,
Gummiharz und Parfüm durchgekämmt haben, sind wir jetzt alle für den Dschinn
bereit. Die Gläubigen haben gebetet. Die Sonne ist untergegangen, und wir
sitzen in ehrfürchtiger Erwartung vor einer Kohlenpfanne unter einem Papayabaum
im Garten.
Der Scheich versucht es zuerst mit ein bißchen Myrrhe. Rauch
steigt in Ringeln hoch.
Kein Dschinn.
Er versucht es mit dem Gummiharz.
Kein
Dschinn.
Er versucht es mit allem, was wir gekauft haben, eins nach
dem andern.
Immer noch kein Dschinn!
Dann sagt er: »Versuchen wir
es mit Elizabeth Arden.« - (
chatw
)
Bekehrung (4) In einem Granitmassiv des Felsengebirges östlich der Hauptstadt des amerikanischen Staates Utah, Salt Lake City, befindet sich eines der seltsamsten Archive der Vereinigten Staaten von Amerika. Hinein führen vier durch den Felsen gebohrte Tunnel, die miteinander durch ein Labyrinth von Korridoren verbunden sind. Die Benützung der hunderttausend Mikrofilme, die hier aufbewahrt werden, ist ausschließlich dem gut ausgebildeten Personal möglich, die Eingänge in das Archiv sind durch Stahltüren und andere Sicherheitsmaßnahmen geschützt.
Alle diese Maßnahmen sind nicht zum Schutz irgendwelcher supergeheimen Angaben ergriffen worden, es handelt sich um kein staatliches oder militärisches Archiv. Hier werden nämlich nur die Namen von 18 Milliarden Menschen, lebenden und toten, aufbewahrt, die sorgfältig auf 1000250 Mikrofilmen registriert sind, die die ›Genealogische Gesellschaft der Kirche der Heiligen des jüngsten Gerichts‹ zusammengetragen haben. Das ist der offizielle Name der mormonischen Archivare der Kirche von Salt Lake City, die vor gut hundertfünfzig Jahren ein gewisser Joseph Smith gegründet hat und die, nach mormonischen Angaben, in den USA an die drei Millionen und in anderen Ländern noch eine Million Anhänger hat.
Die Namen, die in dieser unglaublichen Sammlung registriert wurden, sind, dank sorgfältigster Abschreibung aller möglichen Register, in aller Welt gewonnen worden, und diese Arbeit wird auch weiterhin kontinuierlich fortgesetzt. Das Endziel dieses gewaltigen Unternehmens ist die Registrierung des gesamten Menschengeschlechts auf Mikrofilm — sowohl jenes Teils, der noch zu den Lebenden gehört, als auch des anderen, der schon ins Jenseits umgezogen ist.
Für die Mormonen stellt die Genealogie nämlich ein wesentliches Element ihrer Religion dar. Jeder Mormone kann dank dieses phantastischen Archivs in die Vergangenheit zurückkehren, indem er sich sozusagen an seinem genealogischen Stamm hinuntergleiten läßt, um so retro-aktiv die kirchliche Taufe aller seiner Vorfahren vorzunehmen, die nicht das Glück hatten, der ›mormonischen Offenbarung‹ zu Lebzeiten teilhaftig zu werden.
An dieses Werk traten die Mormonen mit der größten Ernsthaftigkeit heran.
Das erste Suchen nach einem möglichst sicheren Ort für die Unterbringung
des Archivs begann schon im Jahre 1958, die Bohrarbeiten im ausgewählten
Berg 1961. Die Mikrofilme werden mit der größten Sorgfalt aufbewahrt. Die
Temperatur in den unterirdischen Hallen beträgt konstant 14 Grad, die Luftfeuchtigkeit
schwankt nur zwischen 40 und 50 Prozent. Die Luft, die durch ein System
von Filtern dringt, wird sorgfältig gesäubert, um in die Säle kein einziges
Staubkorn und keinerlei chemische Verschmutzungen einzulassen. In den sechs
riesigen Sälen, die von einer doppelten Schicht armierten Betons umgeben
sind, wird im Augenblick eine Menge von Angaben aufbewahrt, die sechs Millionen
Bücher von je 3000 Seiten füllen könnten. Falls es notwendig werden sollte,
planen die Mormonen die Aufbohrung weiterer Säle. -
Nach (
kis
)
Bekehrung (5) Ich dingte mir
eine ungewöhnlich schöne Tscherkessin, die unter vier Augen die zärtlichste
und in der Moschee die frömmste Frau der Welt war. Als sie eines Nachts
in meinen Armen lag, rief sie im Überschwang der Gefühle: «Allah il Allah!»
Das sind heilige Worte der Türken, ich aber hielt
sie für Liebesworte, und so flüsterte ich ebenfalls zärtlich: «Allah il
Allah.» — «Oh», rief sie, «der barmherzige Gott sei gelobt, nun bist du
Türke.»Ich erwiderte ihr, daß ich Gott segne, weil er mir so viel Kraft
verliehen hatte, und ich wähnte mich über alle Maßen glücklich. Am Vormittag
erschien der Imam, um mich zu beschneiden, und da ich Schwierigkeiten machte,
hat der Kadi unseres Stadtteils, ein biederer Mann, mir nahegelegt, mich
pfählen zu lassen. Mit Hilfe von tausend
Zechinen rettete ich meine Vorhaut und mein
Hinterteil und entfloh nach Persien mit dem festen
Entschluß, niemals wieder in der Türkei einer griechischen oder römischen
Messe beizuwohnen. -
Voltaire
,
Geschichte der Reisen Scarmentados. in (
vol2
)
Bekehrung (6) Der Zundelheiner und der Zundelfrieder
trieben von Jugend auf das Handwerk ihres Vaters, der bereits am Auerbacher
Galgen mit des Seilers Tochter kopuliert war, nämlich mit dem Strick; und ein
Schulkamerad, der rote Dieter, hielt's auch mit, und war der jüngste. Doch mordeten
sie nicht, und griffen keine Menschen an, sondern visitierten nur so bei Nacht
in den Hühnerställen, und wenn's Gelegenheit gab, in den Küchen, Kellern und
Speichern, allenfalls auch in den Geldtrögen, und auf den Märkten kauften sie
immer am wohlfeilsten ein. Wenn's aber nichts zu stehlen gab, so übten sie sich
untereinander mit allerlei Aufgaben und Wagstücken, um im Handwerk weiterzukommen.
Einmal im Wald sieht der Heiner auf einem hohen Baum einen Vogel auf dem Nest
sitzen, denkt, er hat Eier, und fragt die andern: „Wer ist imstand, und holt
dem Vogel dort oben die Eier aus dem Nest, ohne daß es der Vogel merkt?"
Der Frieder, wie eine Katze, klettert hinauf, naht sich leise dem Nest, bohrt
langsam ein Löchlein unten drein, läßt ein Eilein nach dem andern in die Hand
fallen, flickt das Nest wieder zu mit Moos, und bringt die Eier. - „Aber wer
dem Vogel die Eier wieder unterlegen kann", sagte jetzt der Frieder, „ohne
daß es der Vogel merkt?" Da kletterte der Heiner den Baum hinan, aber der
Frieder kletterte ihm nach, und während der Heiner dem Vogel langsam die Eier
unterschob, ohne daß es der Vogel merkte, zog der Frieder dem Heiner langsam
die Hosen ab, ohne daß es der Heiner merkte. Da gab es ein groß Gelächter, und
die beiden andern sagten: „Der Frieder ist der Meister." Der rote Dieter
aber sagte: „Ich sehe schon, mit euch kann ich's nicht zugleich tun, und wenn's
einmal zu bösen Häusern geht, und der Unrechte kommt über uns, so ist's mir
nimmer Angst für euch, aber für mich." Also ging er fort, wurde wieder
ehrlich, und lebte mit seiner Frau arbeitsam und häuslich. - (hebel
)
Bekehrung (7) Tatsächlich hat die Verkündigung
Jesu und seines Evangeliums zu keiner Zeit eine Entfremdung der präkolumbianischen
Kulturen mit sich gebracht und war auch nicht die Auferlegung einer fremden
Kultur. Echte Kulturen sind weder verschlossen noch in einem bestimmten Augenblick
der Geschichte erstarrt, sondern sie sind offen, mehr noch, sie suchen die Begegnung
mit anderen Kulturen. - Papst Bendedikt XVI., Die Welt vom
23. Mai 2007
Bekehrung (8) Die Memoiren des berühmten
Bischofs von Chiapa* berichten davon, daß man in Amerika zehn
Millionen Ungläubige erwürgt oder verbrannt oder ertränkt haben soll, um sie
zu bekehren. Ich nahm an, dieser Bischof übertreibe; aber selbst wenn man die
Zahl der Sühneopfer auf fünf Millionen herabsetzen würde, so wäre das immer
noch bewundernswert. - Voltaire, Geschichte
der Reisen Scarmentados, nach (
vol2
)
* Las Casas
Bekehrung (9)
Bekehrung (10)
Bekehrung (11) Die Hl. Cäcilia
erklärte ihrem jungen Ehemann Valerian in der Hochzeitsnacht,
daß ihre Keuschheit von einem Engel Gottes bewacht
werde. Wenn er sich taufen lasse, könne er diesen Engel
sehen. Valerian eilte daraufhin zu Papst Urban und wurde
von ihm in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen. Als der Stadtpräfekt
davon erfuhr, ließ er Valerian und seinen ebenfalls bekehrten Bruder enthaupten.
Cäcilia sollte erst im Dampf ihrer Badestube erstickt werden, blieb aber wunderbarerweise
unverletzt. Danach schlugen ihr Henkersknechte dreimal mit dem Schwert auf den
Kopf und ließen sie dann in ihrem Blute liegen, denn mehr als drei Streiche
waren nicht erlaubt. Nachdem Cäcilia ihre Habe der Kirche geschenkt hatte, gab
sie am nächsten Morgen ihren Geist auf. Kurz danach wurde auch Urban enthauptet.
- Albert Christian Sellner,
Immerwährender Päpstekalender. Frankfurt am Main 2006 (Die Andere Bibliothek
260)
Bekehrung (12) Einer der heldenmütigsten Märtyrer war der Diakon Vinzenz aus Saragossa. Der Präfekt Dacian ließ ihn während des Prozesses entkleiden und an Händen und Füßen mit Stricken dehnen. Das geschah mit solcher Gewalt, daß die Glieder aus den Gelenken sprangen. Dazu bürstete man den Körper des Heiligen mit eisernen Krallen, die ihn grauenvoll zurichteten.
Vinzenz aber machte den Schergen Vorwürfe, daß sie kraftlos und feigherzig verführen. Zur Strafe ließ Dacian die Knechte auspeitschen, worauf diese mit Rachegelüsten im Herzen an die Foltergeräte zurückkehrten und Vinzenz dergestalt zerfleischten, daß man an mehreren Stellen die Gebeine und Eingeweide sah.
»Habe doch Mitleid mit dir selbst«, sagte Dacian zu dem Gemarterten, »opfere den Göttern, und du wirst sofort freigelassen.« Der Märtyrer aber antwortete, er fürchte falsches Mitleid mehr als alle Qual und Pein. Aufs höchste erzürnt, befahl Dacian, ihn auf einen glühenden Rost zu legen. Vinzenz aber bestieg selbst das Martergerät, das mit nach oben ragenden Spitzen versehen war, und ließ sich ausgestreckt darauf festbinden. Alle Teile seines Körpers, die dem Feuer nicht zugewandt waren, wurden mit Geißeln geschlagen, mit glühendem Blech versengt und obendrein mit Salz bestreut.
Das Feuer selbst wurde durch das herabtropfende Fett immer heftiger angefacht.
Während all dieser Martern verlor Vinzenz nie seine heitere Seelenruhe.
Schließlich ließ ihn der Präfekt in einen finsteren Kerker werfen. Dort legte
man ihn auf Scherben und spannte seine Füße in einen knochenbrechenden Stock.
Es wurde streng verboten, mit dem Gefangenen zu sprechen. Doch der Kerkermeister
sah durch einen Türritz, wie der Heilige, ungeachtet der Scherben, auf und ab
wandelte, mit Engeln lobsingend. Der Augenzeuge bekehrte sich auf der Stelle
zum Christentum. -
Albert Christian Sellner, Immerwährender Heiligenkalender. Frankfurt am Main
1993
Bekehrung (13)
Bekehrung (14) Man betrachtet die braunen Leute, wie sie fischen und nichts tun, jagen und nichts tun, schlafen, essen, tanzen, lieben. Man sieht, wie sie sich vorbereiten zur Jagd, wundert sich, begleitet sie, dann macht man's wie sie. Man lernt mit dem Blasrohr schießen, man betrachtet die Baume, hört auf die Wahrsagevögel. Das betrachten der Dominikaner und der Kapitän Lopez mit Besorgnis und mit Ärger, sie schimpfen auf die lange Regenzeit, die die Teufel geschickt haben, um sie zu verderben.
«Wenn wir hier lange bleiben, so wird sich eine tolle Geschichte ereignen.
Wir sind hergeschickt, um die Heiden für die heilige Kirche zu gewinnen. Es
kann passieren, daß - ich kann es nicht aussprechen.» Der Dominikaner kalt:
«Unsere Soldaten werden Heiden. Sie sind es schon. Wir werden zum Aufbruch drängen.
Man soll keinen in Versuchung fuhren. Gegen die, die sich versündigen, werden
wir Mittel finden.» -
Alfred Döblin, Amazonas-Trilogie. Bd.1, Land ohne Tod. München 1991
Bekehrung (14) Sie kehren von ungefähr,
angeblich um einen vergessenen Posten Proviant zu holen, mit einer Handvoll
Leute noch einmal um. Sie fordern wirklich Proviant, fahren die erstaunten Leute
an und lassen sich nun recht nach Herzenslust aus, mit Schimpfen, Drohen, sie
hätten ein Dutzend Bluthunde bei sich. Die Braunen sind sanft, aber nicht feige.
Die Kapitäne springen mit ihnen um, wie die dummen braunen Tiere es verdienen.
Man muß jetzt einiges nachholen. Sie gehen, wie ihnen die Geistlichen geraten
haben, in die Maskenhütte und das Junggesellenhaus, werfen die blödsinnigen
breitmäuligen Holzidole um, zerhacken sie, die Masken, die sie zu dem Götzendienst
tragen, zerfetzen sie mit ein paar Degenhieben. Sie bemächtigen sich der gräßlichen
schwarzen Totcnköpfe, die da hängen, schwarz und gelb bemalt und mit Federn
behängt. Mit einem Schlag der Armbrust liegen sie auf dem Boden, mit einem Kolbenstoß
sind sie zerbrochen und in den Boden gestampft. Man hat ein kleines Holzkreuz
da, das man an ihrer Stelle an die Wand bindet. Dann geht es zu den Heiden in
das Dorf hinein. Die Braunen sind nicht sichtbar, man trifft einige Leute auf
der Flucht und bindet sie. Bei der Annäherung an den Platz wird man von einem
Pfcilhagel überschüttet. Die Dunklen fliehen vor dem Krachen der Waffen ihrer
Feinde. Die Kapitäne lassen Feuer in die Häuser legen, das aber nur zum Schwelen
kommt und unter dem Regen bald auslöscht. -
Alfred Döblin, Amazonas-Trilogie. Bd.1, Land ohne Tod. München 1991
Bekehrung (15) «Da war ein Stamm, dessen Häuptling erklärte: ‹Euer Christengott soll alles wissen. Ihr sagt, daß ihm nichts verborgen ist, daß er auf allen Wegen ist. Wir wollen aber keinen Gott, der so durchdringende Augen hat.› Herrlich, was? ‹Wir wollen in unsern Wäldern leben, ohne immer einen Richter über unserm Kopf zu haben, der auf uns aufpaßt!› Der Missionar De Arce, eine Riesengestalt, streckte seine Arme aus: «Er denkt sich seinen Gott auszusuchen! Unsere Auswahl genügt ihm nicht.»
Und dann erzählte er, wie neulich ein Stamm der Chiquiten sich
bekehren ließ: «Da rief der Kazik seine Leute zusammen, zur Beratung, sie kamen
nachts in den Beratungsort, tanzten zur Flöte und tranken, und am Morgen legte
der Kazik ihnen die Sache vor. Dann diskutierten sie ein paar Stunden, und dann
fingen sie wieder zu trinken an. Dann war es Mittag, und sie gingen alle baden.
Nachher schmückten sie sich mit schönen Federn und bemalten sich. Dann gab es
ein reichliches Mahl. Dann wurde einstimmig beschlossen, das Christentum anzunehmen!»
Mächtig lachte der Missionar: «Es sind gute Leute. Wir haben ihnen viele Geschenke
machen müssen, damit sie zu diesem Resultat kamen. Wir haben ihnen versprechen
müssen, sie zu schützen, daß sie in kein Kommando kommen, und was noch alles.
Das Christentum wollten sie aber auch dann nur unter zwei Bedingungen annehmen:
erstens darf man die, die es nicht annehmen wollen, nicht zwingen, ihr Gebiet
zu verlassen, und dann darf man ihre Kinder, auch wenn sie Christen sind, nicht
zum Altardienst verwenden.» Er hob die Hände zum Himmel. «Schwierig», bestätigte
der Visitor. «Wir könnten eigentlich ganz anders gegen die Herrschaften auftreten.
Ein bißchen ziehen wir sie ja auch an den Ohren. Aber - schließlich sind wir
Christen und müssen Handschuhe anlegen.» Und damit gab der gewaltige Missionar,
der wie ein verkleideter Ritter und Kriegsfürst aussah, von seinem Roß herüber
dem Visitor die Hand. Ein Paukenschlag, die Trompeten bliesen, der Troß zog
weiter durch die reiche Prärie mit vielem Gepäck, Menschen und Tieren. De Arce
wurde nach einigen Jahren von den Papaguas massakriert.
-
Alfred Döblin, Amazonas. Romantrilogie. München 1991 (entst. 1935-37)
Bekehrung (16)