einsprache
Wir sind zusammengedrängt wie Sardinen; all dieses heiße,
an mich gepreßte Fleisch lenkt meine Gedanken ab. Ich werde mir eines Beinpaars
bewußt, das sich um meine schlingt. Ich blicke auf das vor mir sitzende Mädchen
herunter, schaue ihr gerade in die Augen und presse mein Knie noch tiefer zwischen
ihre Schenkel. Sie wird unruhig, rutscht auf ihrem Platz hin und her, und schließlich
wendet sie sich an ihre Nachbarin und beschwert sich, daß ich sie belästige.
Die Umsitzenden sehen mich feindselig an. Ich schaue harmlos zum Fenster hinaus
und tue, als hätte ich nichts gehört. Selbst wenn ich wollte, könnte ich meine
Beine nicht wegziehen. Allmählich gelingt es jedoch dem Mädchen, durch heftiges
Drehen und Winden ihre Beine von meinen zu befreien. Mit dem neben ihr sitzenden
Mädchen, bei dem sie sich beschwert hat, geht es mir genauso. Fast sofort fühle
ich eine angenehme Berührung, und dann höre ich sie zu meinem Erstaunen zu dem
anderen Mädchen sagen, daß sich so etwas nicht vermeiden läßt, daß es wirklich
nicht die Schuld dieses Mannes sei, sondern die der Gesellschaft, die uns wie
Schafe zusammenpferche. Und wieder fühle ich, wie ihr Bein an meinem bebt, fühle
einen warmen, menschlichen Druck, wie einen Händedruck. Mit meiner freien Hand
gelingt es mir, mein Buch zu öffnen. Ich will zweierlei erreichen: erstens,
daß sie sieht, was für ein Buch ich lese, zweitens will ich das Zwiegespräch
der Beine fortführen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Es funktioniert prächtig.
Als der Zug sich etwas leert, setze ich mich neben sie und unterhalte mich mit
ihr - natürlich über das Buch. Sie ist eine üppige Jüdin mit riesigen feuchten
Augen und einem Freimut, wie Sinnlichkeit ihn hervorbringt. Als wir ausgestiegen
sind, gehen wir Arm in Arm durch die Straßen zu ihrer Wohnung. - (wendek)
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