egutachtung  Wir alle standen  an der Myrtenhecke, die den Hof des Internats von der großen Parkallee trennte, und unsere Schüchternheit überwindend musterten wir mit erzwungener Frechheit die fremden Geschöpfe.

Die jungen Mädchen ihrerseits hielten kühn allen Blicken stand. Zumal die Ältere: Langsam ging sie an uns vorbei, sah uns alle an, ohne auch nur ein einziges Mal mit den Wimpern zu zucken. Als sie vorüber waren, sagte Pablo mit sehr lauter Stimme: »Hübsche Mädchen«; das war es, was wir alle empfanden.

Dann gab jeder mit wenigen Worten sein Urteil ab. Die allgemeine Ansicht ging dahin, daß die jüngere der beiden Schwestern, die auf dem Rücken einen dicken schwarzen Zopf mit einer breiten blauen Schleife trug, mit einem Wort, die »Kleine« ohne Bedeutung war, auf jeden Fall zu jung (zwölf, dreizehn Jahre vielleicht), um unserer Aufmerksamkeit würdig zu sein: denn was waren wir doch für Männer!

Die Ältere dagegen! Wir fanden keine Worte, um ihre Schönheit zu schildern; oder wir fanden nur banale Redensarten, die nicht das geringste besagten, Gedichtzeilen wie: Samtaugen, blühender Zweig und so weiter. Ihre sechzehnjährige Taille wirkte so fest und geschmeidig, und die Hüften darunter-ließen sie sich nicht einem Triumphbogen vergleichen? Und dieser rhythmische Gang war ein Zeichen dafür, daß dieses strahlende Wesen wohl wußte, wie sehr es die Erde schmückte, die sein Fuß betrat... Wahrhaftig, ihr Anblick rief alle Glückseligkeiten des Lebens in einem wach.

»Ihre Schuhe, ihr Kleid und die Frisur sind nach der neuesten Mode«, sagte abschließend Demoisel, ein großer Neger von achtzehn}ahren, ein grober Klotz, der die Angewohnheit hatte, ohne weitere Erklärungen fest zu behaupten, seine Mutter sei eine »Pahiserin von Pahis« und gebe in Port-au-Prince den guten Ton an.  - Valery Larbaud, Fermina Márquez. Frankfurt am Main, Berlin 1992 (Ullstein-Tb. 30250, zuerst 1911)

Begutachtung ⁽²⁾

- André Derain