egierde
 

 ENTDECKUNG AN EINER JUNGEN FRAU

Des Morgens nüchterner Abschied, eine Frau
Kühl zwischen Tür und Angel, kühl besehn.
Da sah ich: eine Strähn in ihrem Haar war grau
Ich könnt mich nicht entschließen mehr zu gehn.

Stumm nahm ich ihre Brust, und als sie fragte
Warum ich Nachtgast nach Verlauf der Nacht
Nicht gehen wolle, denn so war's gedacht
Sah ich sie unumwunden an und sagte:

Ist's nur noch eine Nacht, will ich noch bleiben
Doch nütze deine Zeit; das ist das Schlimme
Daß du so zwischen Tür und Angel stehst.

Und laß uns die Gespräche rascher treiben
Denn wir vergaßen ganz, daß du vergehst.
Und es verschlug Begierde mir die Stimme.

  - (breg)

Begierde (2) ist ein unvernünftiges Verlangen; es werden ihr folgende Arten untergeordnet: Bedarfsverlangen (Bedürftigkeit), Haß, Ehrgeiz, Zorn, Liebe, Groll, Jähzorn. Bedarfsverlangen ist eine gewisse Begierde unter Verfehlen des gewünschten (ersehnten) Gegenstandes und gleichsam abgesperrt von ihm, aber beständig auf ihn scharf hingerichtet und hingezogen; Haß aber ist eine gewisse zunehmende und andauernde Begierde, die darauf ausgeht, daß es einem andern schlecht ergehe. Ehrgeiz ist eine Begierde, die sich auf Parteibestrebungen bezieht. Zorn ist Begierde nach Rache an einem, von dem man ungebührliches Unrecht erfahren zu haben glaubt. Liebe aber ist eine gewisse Begierde, die tugendhaften Männern nicht wohl ansteht; sie ist nämlich der Versuch einer Befreundung aus Anlaß der sich kundgebenden Schönheit. Groll ist ein gewisser eingenisteter und feindseliger Zorn, der aber auf die Gelegenheit zur Rache lauert.    - Stoiker, nach (diol)

Begierde (3) Ich will dem Glück kein Opfer bringen: Pragmatismus ist nicht meine Sache. Trost in irgendeinem Glauben zu suchen, erscheint mir gewöhnlich. Es ist würdelos zu meinen, es gebe ein Heilmittel für seelische Leiden. Selbstmord halte ich nur in einem Fall für gerechtfertigt: da ich der Welt keine andere Herausforderung ent-gegenzuschleudern habe als die Begierde, da sich mir keine größere Herausforderung stellt als der Tod, kann es soweit kommen, daß ich den Tod begehre. Aber Verblöden kommt nicht in Frage, das hieße, mich Gewissensbissen preiszugeben. Ich habe mich ein paar Mal dazu verleiten lassen; es bekommt mir nicht.

Begierde ... jemand sagte einmal, gewiß zu Recht: »Breton: wird sicher nie mit seinem Herzen fertig, dem Knopf seiner Tür.« Man verübelt mir meinen Überschwang, und es trifft zu, daß ich leicht von größtem Interesse zu Gleichgültigkeit übergehe, was meine Umgebung nicht immer schätzt. In der Literatur habe ich mich nacheinander für Rimbaud, Jarry, Apollinaire, Nouveau, Lau-treamont begeistert, Jacques Vachejedoch verdanke ich am meisten. Die Zeit, die ich 1916 mit ihm in Nantes verbrachte, erscheint mir fast wie verzaubert. Er wird mir immer gegenwärtig sein, und obwohl sich aus neuen Begegnungen andere Freundschaften ergeben werden, weiß ich, daß ich niemandem mehr mit derselben Hingabe angehören werde. Ohne ihn wäre ich vielleicht Dichter geworden; er hat in mir das Komplott jener obskuren Kräfte vereitelt, die einen zu dem absurden Glauben an eine Berufung verleiten. Ich bin meinerseits stolz, dazu beigetragen zu haben, daß heute einige junge Schriftsteller nicht die geringsten literarischen Ambitionen verspüren. Man veröffentlicht, um Menschen zu begegnen, das ist alles. Menschen zu entdecken, bin ich von Tag zu Tag neugieriger.  - André Breton, Verächtliche Beichte. In: Der Pfahl. München 1993 (zuerst 1924)

Begierde (4)  Begierde (appetitio) ist die Selbstbestimmung der Kraft eines Subjekts durch die Vorstellung von etwas Künftigen, als einer Wirkung derselben. Die habituelle sinnliche Begierde heißt Neigung. Das Begehren ohne Kraftanwendung zu Hervorbringung des Objekts ist der Wunsch. Dieser kann auf Gegenstände gerichtet sein, zu deren Herbeischaffung das Subjekt sich selbst unvermögend fühlt, und ist dann ein leerer (müßiger) Wunsch. Der leere Wunsch, die Zeit zwischen dem Begehren und Erwerben des Begehrten vernichten zu können, ist Sehnsucht. Die in Ansehung des Objekts unbestimmte Begierde (appetitio vaga), welche das Subjekt nur antreibt, aus seinem gegenwärtigen Zustande herauszugehen, ohne zu wissen, in welchen es denn eintreten will, kann der launische Wunsch genannt werden (den nichts befriedigt).

Die durch die Vernunft des Subjekts schwer oder gar nicht bezwingliche Neigung ist Leidenschaft. Dagegen ist das Gefühl einer Lust' oder Unlust im gegenwärtigen Zustande, welches im Subjekt die Überlegung (die Vernunftvorstellung, ob man sich ihm überlassen oder weigern solle) nicht aufkommen läßt, der Affekt.

Affekten und Leidenschaften unterworfen zu sein, ist wohl immer Krankheit des Gemüts; weil beides  die Herrschaft der Vernunft ausschließt. - Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (zuerst 1798/1800)

Begierde (5)  Alle Begierden des Menschen sind entweder formal (Freiheit und Vermögen) oder material (auf ein Objekt bezogen), Begierden des Wahnes oder des Genusses, oder endlich sie beziehen sich auf die bloße Fortdauer von beiden, als Elemente der Glückseligkeit.

Begierden der ersten Art sind Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht. Die der zweiten: Genuß des Geschlechtes (Wollust), der Sache (Wohlleben), oder der Gesellschaft (Geschrnack an Unterhaltung). Begierden der dritten Art endlich sind: Liebe zum Leben, zur Gesundheit, zur Gemächlichkeit (in der Zukunft: Sorgenfreiheit).

Laster aber sind entweder; die der Bosheit, oder der Niederträchtigkeit, oder der Eingeschränktheit. Zu den erstem gehören: Neid, Undankbarkeit und Schadenfreude; zu denen der zweiten Art: Ungerechtigkeit, Untreue (Falschheit), Lüderlichkeit, sowohl im Verschwenden der Güter, als der Gesundheit (Unmäßigkeit), und der Ehre. Laster der dritten Art sind: Lieblosigkeit, Kargheit, Trägheit (Weichlichkeit).

Die Tugenden sind entweder Tugenden des Verdienstes, oder bloß der Schuldigkeit, oder der Unschuld. Zu den erstem gehört: Großmut (in Selbstüberwindung, sowohl der Rache, als der Gemächlichkeit und der Habsucht), Wohltätigkeit, Selbstbeherrschung; zu den zweiten: Redlichkeit, Anständigkeit und Friedfertigkeit; zu den dritten end lieh: Ehrlichkeit, Sittsamkeit und Genügsamkeit.

Ob aber der Mensch nun von Natur moralisch gut oder böse ist ? Keines von beiden, denn er ist von Natur gar kein moralisches Wesen; er wird dieses nur, wenn seine Vernunft sich bis zu den Begriffen der Pflicht und des Gesetzes erhebt. - Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (zuerst 1798/1800)

 

Gier Wünsche

 

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Verwandte Begriffe
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Synonyme
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