edauern
Arme F. Unglückliche Nacht. Unmöglichkeit, mit F. zu leben.
Unerträglichkeit des Zusammenlebens mit irgend jemandem. Nicht Bedauern
dessen; Bedauern der Unmöglichkeit, nicht allein zu sein. Weiter aber:
Unsinnigkeit des Bedauerns, Sichfügen und endlich Verstehn. Von der Erde
aufstehn. Halte dich an das Buch. Aber wieder zurück:
Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, von dem hohen Fenster
hinunterspringen, aber auf den vom Regen durchweichten
Boden, auf dem der Aufschlag nicht tödlich sein wird. Endloses Wälzen mit
geschlossenen Augen, dargeboten irgendeinem offenen Blick.
- Franz Kafka, Tagebücher (6. Juli 1916)
Frankfurt am Main 1967
Bedauern (2)
Manche freilich müssen drunten sterben,
Manche liegen immer mit schweren Gliedern
Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
Viele Geschicke weben neben dem meinen, |
Bedauern (3) Krates
kümmerte sich nicht im geringsten um die Staatsangelegenheiten, nicht
einmal, um sie zu bespötteln, und gab sich nicht den Anschein von Mut gegen
die Gewaltherrscher. Er billigte keineswegs die Handlungsweise des Diogenes,
der eines Tags aufbrüllte: »Männer hierher!« und die daraufhin Herbeieilenden
mit dem Stock wieder hinwegprügelte, wobei er ihnen zuschrie: »Ich habe doch
›Männer‹ gerxifen und nicht ›Abschaum der Menschheit‹. Krates ging mit den Leuten
sanft um. Ihm galt alles gleich. Die Wunden waren ihm Gewohnheit geworden. Er
bedauerte nur sehr, keinen so gelenken Körper zu haben, daß er sie hätte belecken
können, wie es die Hunde tun. - Marcel Schwob, Der Roman der
zweiundzwanzig Lebensläufe. Nördlingen 1986 (Krater Bibliothek, zuerst 1896)
Bedauern (4) Im ganzen gibt
es in Indien nur noch 101 775 Parsen, von denen 83 019 in der Präsidentschaft
Bombay leben. Infolge Inzucht (Verwandtenehen) haben nicht wenige unter ihnen
schwache Lungen und Augen (sind tuberkulös und kurzsichtig), viele haben keine
rechte Heiratslust, und es heißt, daß sie in nicht allzu langer Zeit aussterben
werden, was sehr schade wäre. - Magnus Hirschfeld, Weltreise eines Sexualforschers
im Jahre 1931/32. Frankfurt 2006 (zuerst 1933), Weltreise eines Sexualforschers
im Jahre 1931/32. Frankfurt 2006 (zuerst 1933)
Bedauern (5)
Der Arzt
gab meinen Vater sofort auf. Wenn ich mich zu seinen Lebzeiten in Triest aufhielt,
waren wir höchstens ein Stündchen im Tag beisammen, doch auch dies nicht täglich.
Im ganzen Leben bin ich ihm nicht so nah gewesen wie in den Tagen der Trauer
um seinen Tod. Ich wollte, ich hätte damals weniger geweint und wäre vorher
mehr bei ihm gewesen! Das hätte sicher meiner Gesundheit genützt. -
(cos)
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