Baumkletterer (2) »Ach, Viola, ich weiß nicht mehr, ich möchte wer weiß wohin klettern...«
»Zu mir«, sagte Viola leise, und er gebärdete sich darauf wie toll.
Die Liebe war für beide eine heroische Übung: Die Lust vereinte sich mit Mutproben, mit Hingabe und einer Anspannung aller Seelenkräfte. Die schwierigsten, die gewundensten, die unwegsamsten Bäume waren ihre Welt.
»Dorthin!« rief er und deutete auf eine andere Astgabel, worauf sie zusammen losstürmten, um sie zu erreichen; so wetteiferten sie in Akrobatenkünsten, die in neuen Umarmungen endeten. Sie liebten einander, über dem Abgrund hängend, stützten oder klammerten sich an Äste, und sie warf sich auf ihn, gleichsam im Fluge.
Violas verliebter Eigensinn begegnete dem Cosimos, und zuweilen kam es auch
zu Zusammenstößen. Cosimo verabscheute die Verzögerungen, die Erschlaffungen,
die raffinierten Perversitäten: Nichts gefiel ihm, was nicht Ausdruck natürlicher
Liebe war. Die republikanischen Tugenden lagen in der Luft: Schon damals kündeten
sich zugleich ausschweifende und sittenstrenge Zeiten an. Cosimo, der unersättlich
Liebende, war Stoiker, Asket,
Puritaner. Stets auf der Suche nach Liebesseligkeit,
war er doch immer der Wollust feind. Er gelangte dazu,
dem Kuß, der Liebkosung, der Wortschmeichelei, kurzum, alldem zu mißtrauen,
was das Natürlich-Gesunde trübte oder zu verdrängen suchte. Es war Viola, die
ihn dessen Fülle hatte entdecken lassen, und mit ihr erlebte er nie jene Traurigkeit
nach dem Liebesakt, die von den Theologen verkündet
wird, ja, er schrieb sogar einen philosophischen Brief über dieses Thema an
Rousseau, der ihm nicht antwortete, vielleicht,
weil er darüber betroffen war.
- Italo Calvino, Der Baron auf den Bäumen.
München 1984 (zuerst 1957)
Baumkletterer (3)
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