Proteus' Vermögen besaß auch Autolycus' Weib, Erysichthons
Tochter. Ihr Vater war ein Mann, der das Walten der Götter frech
verlachte und nie auf Altären Weihrauch verbrannte. Auch den
Hain der Ceres, erzählt man, hat er entheiligt und seine alten
Bäume verletzt mit dem Eisen des Beiles. Riesig stand unter
denen, bejahrten Stamms eine Eiche: Sie allein ein Wald. Gedächtnistafeln
und Bänder, Kränze schmückten sie rings: erhörter Gebete Beweise.
Oftmals schritt unter ihr der Dryaden Schar ihren Reihen. Oftmals
maßen sie auch, mit verflochtenen Händen- im Kreise rings ihn
umschließend den Stamm. Und, sieh, es erreichte sein Umfang fünfzehn
Ellen. Es stehn unter ihr die übrigen Bäume tief, wie unter
all den anderen Bäumen die Kräuter.
Dennoch hielt des Triopas Sohn auch von dieser das Beil nicht
fern. Er heißt die Diener den Stamm, den heiligen, fällen; und,
als er zaudern sieht die Geheißnen, entreißt der Verbrecher einem
von ihnen das Beil und läßt die Worte vernehmen: „Mag sie nicht
nur geliebt von der Göttin sein, sondern selbst auch Göttin,
jetzt wird sie den Grund mit dem laubigen Wipfel berühren!"
Sprach es, und während zum Hieb von der Seite die Waffe er schwingt,
er- zitterte Deos Eiche und ließ ein Seufzen vernehmen, bleich
zu werden begannen die Blätter zugleich mit den Früchten, und
eine Blässe kroch entlang den mächtigen Zweigen. Als seine frevelnde
Hand dem Stamm eine Wunde geschlagen, quoll aus dem Spalt in
der Rinde das Blut nicht anders hervor als, wie es zu fließen
pflegt aus dem angeschlagenen Nacken. wenn der gewaltige Stier
als Opfer stürzt am Altare.
Alle entsetzten sich da. Es wagte dem Frevel zu wehren einer
von allen und suchte die wütende Schneide zu hemmen. Blickt
ihn der Thessaler an und spricht: „Da nimm für den frommen Sinn
deinen Lohn!" Er wendet das Eisen vom Baum auf den Mann und
trennt ihm von Rumpfe das Haupt. Er schlug aufs neu auf den
Stamm ein, als eine Stimme erklang hervor aus der Mitte des
Baumes: „Hier unter diesem Holz bin ich, eine Nymphe, der Ceres
teuer; und ich, ich künde dir sterbend an: Deiner Taten Strafe
steht dir nahe bevor, ein Trost mir im Tode."
Er treibt weiter sein Freveln, und endlich, von zahllosen Streichen
wankend, mit Seilen zur Seite gezogen, sturste der Baum und
streckte im wuchtigen Fall der anderen viele zu Boden.
All die Schwesterdryaden, bestürzt, daß
den Hain und sie selbst be- troffen ein solcher Verlust, sie
treten in schwarzen Gewändern trauernd vor Ceres hin, Erysichthons
Bestrafung zu fordern. Nickend gewährte es ihnen die Herrliche,
ließ durch des hehren Hauptes Regung wogen die ernteschweren
Gefilde, denkt eine Strafe ihm zu erbarmenswürdigster Art, könnt
einem nach solcher Tat erbarmenswürdig er scheinen: Süchtiger
Hunger soll ihn verzehren. Da diesem
zu nahn der Göttin selber verwehrt — daß Ceres und Hunger sich
treffen, läßt das Geschick nicht zu — ruft diese eine der Nymphen,
die im Gebirg man verehrt, und gibt ihr so ihren Auftrag: „Fern
an den eisigen Küsten von Scythien liegt eine Stelle, fruchtlos,
öde der Boden, kein Korn, kein Baum auf der Erde. Lähmende Kälte
ist dort daheim, der Schrecken, das Graun und Er, der Hunger,
der hohle. Er soll in des Heiligtumschänders frevelhaftes Geweide
sich senken. Ihn soll keine Fülle zwingen, im Wettstreit soll
er auch meinen Kräften obsiegen. Und, daß die Weite des
Wegs dich nicht schrecke, nimm meinen Wagen, nimm sie auf hoher
Bahn mit den Zügeln zu lenken, die Schlangen."
Gab sie der Nymphe, und die, durch die Lüfte geführt auf der
Göttin Wagen, gelangte nach Scythien so. Auf dem Haupt eines
wilden Berges —- Caucasus wird er genannt — gab frei sie der
Schlangen Rücken und sah nun dort auf steinigem Feld den gesuchten
Hunger mit Nägeln und Zähnen die dürftigen Kräuter sich rupfen.
Struppig sein Haar und hohl seine Augen, Blässe im Antlitz,
fleischlos die Lippen und grau, voll rauhen Schorfes der Rachen,
hart seine Haut, man konnte durch sie die Geweide erkennen.
Dürr über hohlen Lenden heraus ihm starrten die Rippen, statt
des Leibes — Raum für den Leib. Die Brust schien zu hangen, so,
als würde sie nur von den Wirbeln des Rückens gehalten. Größer
macht die Gelenke die Magerkeit, quellend der Kniee Scheiben,
unmäßig treten hervor die kantigen Knöchel. Als sie von ferne
ihn sah — sie wagte nicht näher zu treten — rief sie der Göttin
Befehle ihm zu. Und so kurz sie verweilt, so weit sie entferntvon
ihm stand, und war sie auch kaum erst gekommen, glaubte sie
dennoch den Hunger zu spüren. Sie ließ ihre Schlangen wenden
und lenkte sie hoch ihre Bahn nach Thessalien wieder.
Was ihm Ceres befohlen, vollführte der Hunger, obgleich er stets
ihrem Wirken feind. Durch die Luft von den Winden getragen, naht
er sich schon dem befohlenen Haus. In des Heiligtumschänders Kammer
tritt er sogleich; den in tiefem Schlummer Gelösten — Nachtzeit
war es — umschlingt mit beiden Armen er enge, haucht dem Manne
sich ein, weht Brust ihm, Rachen und Antlitz an und flößt seine
Leere ihm tief in das hohle Geäder. Dann, da sein Auftrag erfüllt,
verläßt er den fruchtbaren Erdkreis, kehrt in das Haus des Mangels
zurück auf die heimischen Fluren.
Friedlicher Schlummer umfächelt bisher Erysichthon mit sanftem
Fittich. Aber schon im Traum verlangt er nach Nahrung, regt
seine leeren Kiefer, ermüdet den Zahn an den Zähnen, quält mit
nichtiger Speise umsonst die betrogene Kehle, schlingt an der
Mahlzeit statt die flüchtigen Lüfte hinunter. Aber als dann
der Schlummer verscheucht, da raste die Eßgier, herrschte im
gierigen Schlund und den unermeßnen Geweiden. Ohne Verzug verlangt
er, was Meer, was Erde, was Luftreich liefern und klagt an gedecktem
Tisch, ihn quäle der Hunger. Speisend fragt er nach Speise,
und was einer Stadt, einem ganzen Volk hätte können genügen,
es reicht nicht aus für den Einen. Ja, je mehr in den Bauch
er versenkt, desto mehr nur begehrt er, und, wie das Meer die
Ströme der ganzen Erde empfängt und nie sich des Wassers ersättigt,
die fernsten Flüsse noch austrinkt, und, wie das raffende Feuer
niemals eine Speise zurückweist, nicht zu zählende Scheite verbrennt,
und je mehr du ihm bietest, desto mehr nur verlangt und gefräßiger
wird in der Fülle, so empfängt und heischt zugleich Erysichthons,
des Frevlers, Schlund ein jedes Mahl. Ihm wird ein jegliches
Essen Grund zu essen, und stets wird leer von Speisen die Tafel.
Hungernd hatte er schon in Bauches Abgrund des Vaters Reichtum
schwinden gemacht. Doch nimmer schwindend, der Hunger blieb,
der grausige, doch; in dem unersättlichen Schlunde brannte es
weiter. Als endlich versenkt im Geweid sein Vermögen, blieb
ihm die Tochter allein, die solchen Vaters nicht würdig. Arm
nun, verkauft er auch die. Sie verschmäht einen Herren in edlem
Stolze und ruft, ihre Hände zum nahen Meere erhebend: „Du
entreiß mich dem Herrn, der du einst meines Jungfrauentumes Blume
im Raube gewannst!" — Neptun war's, der sie gewonnen. — Dieser
erhörte ihr Flehn. Noch ehen sah sie der Herr, der hinter ihr
ging, da erhielt sie ein anderes Aussehn, ein männlich Antlitz,
dazu die Tracht, die Fischefangenden eigen. Blickend auf sie
spricht da der Herr: „Der mit wenigem Fleisch du hehlst das hangende
Erz, du Meister der angelnden Rute, so sei dir freundlich das
Meer und so dir der Fisch in den Wellen arglos und fühle erst
dann, wenn er fest sich gebissen, den Haken: Sie, die eben noch
hier in schlechtem Kleid mit verwirrten Haaren am Ufer stand
— ich sah sie stehn an dem Ufer — sag, wo ist sie? Die Spuren,
sie führen von hier doch nicht weiter!"
Da erkannte sie wohl, daß die Gabe des Gottes ihr fromme; froh,
nach sich selbst gefragt sich zu sehn, gab dies sie .zur Antwort:
„Wer du auch seist, verzeih! Doch habe ich hier von dem Wasser
keinen Blick noch verwandt, voll Eifer vertieft in die Arbeit.
Und, daß du weniger zweifelst: Der Gott des Meeres, er möge
so unterstützen mein Werk, wie niemand seit langem an diesem
Strand — außer mir allein — und gewiß keine Frau ist gestanden,"
Glauben schenkt ihr der Herr, kehrt um und stapfte betrogen fort
durch den Sand — und sie erhielt ihr eigenes Aussehn.
Doch als der Vater erkannt, daß der Leib seiner Tochter verwandlungs- fähig
geworden, verkauft er sie oft an Herren: als Stute einmal und
dann als Rind, als Hirsch, als Vogel vergeben, schaffte betrüglich
sie so dem gierenden Vater die Nahrung. Aber, als allen Stoff
die Gewalt seines Übels verzehrt und doch nur neue Nahrung der
schrecklichen Krankheit gegeben, fing er mit Bissen an zu zerfleischen
die eigenen Glieder, und der Unselige nährt seinen Leib, indem
er ihn aufzehrt.
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