Bauernhochzeit (2) LUDWIG
Also das hat sich folgendermaßen zugetragen. In Navis hat mein Bruder
Hochzeit gehabt, der dahinten sitzt. Der Herbert ist auch dagewesen und hat
immer so geschaut. Am Abend ist er immer so hinundhergegangen, von der Gaststube
zur Theke und ins Freie und in die Küche und-soweiter. Ich hab mir sagen lassen,
daß er auch beim Tanzen in der Pfarrbibliothek gewesen ist, aber das weiß ich
nicht selber. Ich habe jedenfalls zu ihm gesagt, und zwar im Flur, wo gerade
die Köchin und die Verwalterin kalte Platten für den Abend gerichtet haben,
oder sie sind schon fertig gewesen, so genau weiß ich das nicht mehr, weil ich
schon ziemlich angeheitert war, jedenfalls sagte ich zu ihm Folgendes folgendermaßen,
wenn ich mich so ausdrücken darf, hören Sie gut zu: Ich habe dich vorhin im
Profil gesehen, hab ich zu ihm gesagt. Du tust nur so auf die bayerische autoritäre
Art. Du tarnst dich weil du Angst hast. Und wenn ich mich recht erinnere, hat
er auf meine Oberlippe geschaut, daher, wo ich das Bärtchen habe und ich hatte,
ehrlich gestanden, das Gefühl, als täte er mir die Kehle durchschneiden. Ich
war halt nicht mehr nüchtern, wenn ich weiter berichten darf. Als ich ihn dann
gleich wieder traf, fragte er mich, warum ich ihn schon wieder mit einem Grinser
bestrafe, was mich einigermaßen stutzig machte, soweit das ging, denn ich war
ganz schön durcheinander. Rausch hin Rausch her, ich war jedenfalls nicht der
einzige, der ihm an diesem Tag, der Hochzeit meines Bruders, Sie können ihn
selber fragen, zugesetzt hat. Der Franz hat ihm selber gesagt, warum er immer
so ein Zeug schreiben täte und er besser mit einem Mühlstein am Hals im Meer
ersöffe ... so hat er es auch nicht gemeint. Sie kennen ja seinen Blick nicht,
wie Ihnen überhaupt sein Gesicht unbekannt geblieben sein dürfte, wissen Sie
schon, diese Ausdrucksferne, wie ich es, ich weiß auch nicht warum, ausdrücken
möchte undsoweiter. Gehe ich, während die beiden Küchenpersonalien im Flur hantieren,
in die Küche und packe dem Pfarrer sein Gewehr und werf es durchs Fenster, weil
in der Küche niemand gewesen ist. Das darf ich doch kurz erklären, daß niemand
in der Küche gewesen ist, ah, daß der Pfarrer zugleich Wirt ist, Widum nennt
man so einen Betrieb, wo's nur noch 2 gibt, jedenfalls in Österreich; also das
wissen Sie. Dann geh ich aus dem Widum hinaus, schleichen hätte ich beinahe
gesagt, aber das war ja nicht nötig, weil mich eh alle gekannt haben. Da faßte
mich sein Bub an der Hand, der immer eine etwas Übertemperierte Hand hat, wie
ich mir hab sagen lassen von seiner Mutter was machst du? Ich raffte die Büchse
auf und eilte im Schutz der Dämmerung weg, von seiner älteren Tochter gesehen,
ich weiß jetzt auch nicht, wie sie heißt, die ist mir gefolgt, so daß ich hinter
dem Gefallenen-Denkmal Deckung nahm. Es wird auch wieder eine Zeit kommen, da
man eure Heldenopfer besser zu würdigen verstehen wird als es bisher geschah.
Euer Kamerad ruft euch zu: Auf Wiedersehn! Sie wissen ja, was man alles sagt,
wenn man angetrunken ist. Und schon rauscht der Bach und es regnet leicht im
Weirichtal. Nachholen darf ich noch, was ich vorhin vergessen habe; da ist nämlich
auch der Wim dagewesen, der extra von Holland nach Navis getrampt ist, um bei
der Hochzeit meines Bruders dabeizusein. Die beiden sind an der Mauer gestanden,
das ist die Mauer zwischen dem Widum und der neuen Kirche. Von der alten Kirche
steht bloß noch der Turm und der Chor, weil das Schiff mit dein Hang langsam
abgerutscht ist. Eine herrliche Aussicht hat man an der Stelle, das schöne Tal
hinab bis zur Serles. Das ist die Serles, hab ich zu ihr gesagt, na der Berg
danem ... Das ist schon schön, das Gebirge, das hohe und das Waidmannshandwerk.
Ich bin ja schon einmal mit ihm auf die Jagd gegangen und schon damals habe
ich mir gedacht, daß er ein Bandit sein könnte. Die Garns, die Gemse, sagte
ich mir, heute kannst du eine schießen, weil bei diesem Regen, bei diesem Schneeregen,
der eingesetzt hat, niemand den Schuß hört. Die Bewölkung verschluckt den Schuß
auf der Höhe und kein Widerhall beunruhigt die Bevölkerung. Als es schon richtige
Schneeflocken gewesen sind, habe ich mich auf einen Stein gesetzt, hohes Gericht,
Um nachzuholen, was ich vergessen habe, daß ich es nachhole: der Wim ist 7 Jahre
in Afrika gewesen. Er hat bei einem Stamm gelebt und dem seinen Dialekt so gut
gesprochen, daß ein blinder Neger, der mit ihm auf einen Omnibus gewartet hat,
ihm nach einer Viertelstunde angeregter Unterhaltung genau gesagt hat, von welchem
Stamm er sei, net, daß er an Weißen vor sich hat, hat er ja nicht sehen können
., . Ich kann de Leute nicht helfen, ich brauche de Leute, und jeden Morgen
zuhause in Holland, wenn ich erwache, denke ich an diese Leute und möchte dort
sein, die haben es besser. Ah in der Zeitung, was die schreiben. Ich habe noch
nichts geschrieben, weil ich mir überlege, ob ich die Leute richtig verstanden
habe. Ich möchte dort leben, aber die brauchen mich nicht. Sie wissen ja, wie
das ist, wenn man sich wo hinsetzt, wie einem dann Stimmen von anderen Leuten
im Kopf rum-gehn, und erst in meinem Zustand. Aber getroffen habe ich ihn noch
lange nicht. Net, der Wim hat ein langes Nachthemd anziehen müssen, wenn er
in die Badewanne gestiegen ist, halt, wenn er sich gebadet hat. Und heute noch,
wenn er an seiner Mutter, die 80 Jahre alt ist, vorbeigeht, wird es ihm eiskalt.
Mit der Gusti hat er einmal im Heu einen goldenen Ring gesucht in der Öd, als
die Gusti noch in der öd gewesen ist, aber das könnte Ihnen besser die Gusti
selber erzählen. Jetzt jedenfalls ist er kein Pfarrer mehr und studiert auf
Kunsterzieher. Ich male auch und in Japan bin ich auch gewesen, damit ich weiterkomme,
ich meine als ganze Person. Mich muß dann gefroren haben, ich bin aufgesprungen
und weitergerannt. Scheißschnee! hab ich geschrien, rutsch i aus und fallt ma
des Gwehr in den Schnee! Weils schneit und niat afhert! De saudummen Profile
an meinen Schuhn, de saudummen. Was meinen Sie? Ja, wenn ich so denke, so dahindenke,
dann denke ich freilich Dialekt, das ist ja sozusagen meine Muttersprache, die
auch mein Vater spricht, die alle bei uns zuhause sprechen, auch die Nachbarn,
was meinen Sie! Im Rausch gehts dann hin und her. Sie müssen mir schon verzeihen,
wenn ich Ihnen so ausführlich berichte, was an jenem Abend, als ich allein durch
den immer dichter fallenden Schnee dahinging, weil ich gleichsam der einzige
Zeuge von dem bin, was ich damals gedacht habe, weil mich die Gedanken immer
höher in die Höhe trieben und ich nur deshalb ihn angetroffen habe und doch
sein Schicksal von dem abhängt, was ich aussage. Heute wunderts mich selber,
was ich damals gedacht habe. Ich Jammerlappen schieß daneben, treff nicht, so
ist es mir durch den Kopf gegangen, als sei ich schon auf der Jagd gewesen!
Da Leo des Arschloch geht 15 Jahr auf de Jagd und sieht 15 Jahr keine Wildsau!
Aber i komm heim von Japan und geh auf de Jagd! Mein Hut könnt i auf den Boden
werfen und mit de Fuß zerstampfen! Kruzifix hauts mi schon wieder hin! um zur
Sache zu kommen, als hätt i Gummischaoh an de Feiß! Nix! Lederstiefe! hab ich
an; denn die Lederstiefel sind das einzige, was an der Sache wahr ist, mit an
mordsmäßigem Profil! merkts eich des! aber enk Schneeflocken kann man sagen
was man will! ihr hörts niat hin! kein Geist der Revolution. Ja, so war es!
Wenn Sie's ganz genau wissen wollen. So war's, da Sie es ganz genau wissen wollen.
Nicht wahr, ich habe mir eingebildet, zu meiner Schwester Res unterwegs zu sein,
die doch unten im Widum auf der Hochzeit war. Das tut mir schon weh, daß mit
mir weiter nichts los ist, als so eine verrückte Sache. Fast wäre ich daran
interessiert, die Wissenschaft hierbei einzuschalten. Meine Schwester hat nämlich
mit ihm schon ganz früh in der Jugend was gehabt, und damit hängts zusammen,
daß ich so ausführlich berichte, weil ja, das was folgen wird, damit aufs engste
zusammenhängt. Sie glauben gar nicht, wie hilflos man ist, wenn man im Schnee
liegt, ich meine bei meinem Zustande. Da wird die Frage, obs kalt ist, zu einem
großen Problem; denn davon hangt es ab, ob man sich noch einmal aufrafft in
die Höhe zu kommen, weil man sonst erfrieren könnte. Is kold? Ob es kalt ist,
möchte ich wissen? Ja is' eitza kold? is mei Gesicht warm? Schei warm, schön
warm, da merkt man, daß man einer Täuschung aufgesessen sein konnte; und tatsächlich:
ich habe mir mit dem Handschuh an der Hand in das Gesicht gelangt. Und dann
war ich immer noch wach genug zu merken, daß ich Schnee zwischen der nackten
Hand und dem Gesicht hatte; denn woher hätt ich Handschuhe haben sollen? Im
Widum unten war ja schönster Frühling gewesen. Wahrscheinlich, weil das mit
den Handschuhen daneben gegangen war, fing ich wieder mit der Wildsau an, das
Gewehr hielt ich ja und ließ zum Beweis einen Schuß los. Hörts doch mit
der Klavierspielerei auf! Himmelsakrament! Vareckta
Schneepapp! Und schon wieder ist er im Lande. Raus aus dem Gefängnis und ins
Land, und hinein in das Gefängnis. Und in der Zwischenzeit werden die Leute
ans Fenster drängen, damit sie ihn und die Res zusammen auf der Straße sehen:
Jeßmarie und des Mittn af da Straoß, werns song, hab ich mir gesagt. Könnte
Ihre Frau Schwester nicht an Weihnachten bei uns als Bedienung aushelfen? Ja,
freile, eich an Deppn machn. Ha, an Weihnachtn ist deï so bsuffn, daß eich an
Wirsching statt an Preßsack auftragn dat, und wenns woiß, daß da Karl, sie hat
ihn ja immer Karl genannt, da ist, dann mochan deï zwoa, wennst mich fragen
solltest, eh wieda a Kristkindl, bevor er wieder in den Stall von Stadelheim
geht. Glauben Sie mir ich bin so müde geworden, daß ich mir dachte, nicht mehr
zu meiner Schwester nach Klotzing hinaufzukommen, was ja auch so sinnlos war,
da ja einmal Klotzing ganz woanders ist und zum anderen meine Schwester im Widum
unten gewesen ist, wo ja, wenn schon das Ganze einen Sinn haben soll, nach meiner
Annahme auch er gewesen ist; daß ich ihn hochoben treffen sollte, konnte ich
doch jetzt noch nicht annehmen. Jedenfalls ist mir das ein Beweis, daß wir oft
nach unergründlichen Beweggründen handeln. Was meinen Sie, wie oft ich diese
Nacht in Gedanken ins Widum hinuntergeeilt bin, ins Zimmer zu den beiden, die
sich nachts noch vom Schauplatz des Massakers
wegzuschleppen vermochten; am Fenster hörte ich den Naturlärm, hörte das Wasser,
sah unter meinem starren Blick die kleine Schildkröte eines der massakrierten
Kinder zwischen Gräsern den Kopf ruhig halten zum Saurier vergrößert, wollte
in meinem Zimmer sein und meine Zudecke aus der Liege nehmen und sie übers Fensterbrett
in die Sonne legen. Fünf mal habe ich das in Gedanken gemacht. Dann hielt ich
es für wahr. Ich kann mich noch gut an meinen letzten Gedanken erinnern: Ich
bin müde, 16 x
Vater unser, der du bist im Himmel, betete ich,
erlöse
die Menschen nun endlich von den Menschen
Diese Sippschaft ist nicht mehr
wert
als daß Du sie vernichtest.
Sie wissen nichts anderes mehr zu tun
als
Blut zu vergießen
indem sie sich gegenseitig abschlachten.
Mache Du nun
endlich Schluß
mit den unseligen Kriegen
auf der ganzen Erde.
Du allein
bist der größte Feldherr. -.
Du brauchst keine Giftgase
und keine Kanonen
keine
Tanks und keine Bomben.
Du brauchst nicht so grausame Waffen.
Lasse Du
harmlose Schneeflocken vier Wochen lang
Tag und Nacht ununterbrochen auf
die Erde fallen,
dann ist der wahre Frieden auf Erden - Amen. -
Herbert Achternbusch, L'État c'est moi. Frankfurt am Main 1972
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