Bardamen (2) Die Frauen, die hierhergehörten, waren jung, die Männer alt und faltig. Ein Kleiner mit dünnem Haar und verkniffenen Lippen trank ein Bier und rauchte eine Zigarette.
Innen war es schummerig. Unbewegten Gesichts brachte der Kellner die Getränkekarte, als überreiche er einen Ehrenbürgerbrief. Emil bestellte eine Flasche Affenthaler, der überraschend samtig und solide schmeckte.
Eine Blonde, die grob aussah und eine Nase wie ein Bolzen hatte, tanzte unbeholfen einen Walzer und war in lila Schleier gehüllt; zog die Schuhe aus und stellte sie neben die Trommel des Schlagzeugers, als wollte sie bacchantisch werden, ließ aber nur ihren lilaflauschigen Rock wehen. Das war eine Magere mit mühsam erhungerter Figur, eine Gehemmte; ängstlich darauf bedacht, keinen falschen Schritt zu machen, kauerte sie nach ihrer Nummer demütig am Boden, als wäre sie ein Häuflein Schwäche und sehr schutzbedürftig.
Emil ging hinaus, kam wieder und setzte sich an die Theke neben die langhaarige
Blonde mit der wie ins Gesicht hineingesteckten Rübennase, die in einem Ort
bei Lissabon geboren und deren Vater gestorben war, wie Eugen erfuhr, der zu
Emil an die Theke ging, wo er feststellte, daß keines dieser Mädchen etwas von
ihrem Vater wissen wollte. Sie waren munter, wahrscheinlich weil sie gut verdienten,
und sie erzählten, daß sie bis nachmittags schliefen und beim Putzen des Lokals
mithelfen müßten. Eine andere im lila Rock wollte einen doppelten Whiskey haben,
und Eugen meinte, daß er ihr den spendieren müsse, weil er hier saß. Emil aber
war verschwunden. Eugen fragte die Walzertänzerin, woher sie stammte, und sie
antwortete: »Ich bin ein Krakauer Würstchen.« Ihre Mutter war Ungarin; der Vater
Pole, aber tot. Sie wohnte in München beim Deutschen Museum, wo es nicht weit
in die Isarauen war, fühlte sich aber in Wien am wohlsten, weil es dort so slawisch
sei. - »Stuttgart hat eine schöne Umgebung«, sagte sie und erzählte von ihrem
Mercedes SLM, mit dem sie hinausfahre, und von ihrem weißen Pudel, der, wenn
sie nicht da sei, ihre Schuhe und alles, was sie zurücklasse, ablecke. Länger
als vier Wochen war sie selten in einer Stadt, und am liebsten hielt sie sich
bei ihrer Freundin in Karlsruhe auf, die einen reichen Mann geheiratet hatte.
Eugen fragte, ob der bedeutend älter als sie sei, und die Krakauerin ließ ihre
Augen glitzern: »Oh, Sie wissen es!« Dann fügte sie hinzu: »Aber sie hat nicht
gewußt, daß er sooo reich ist... Die große Liebe ...« Und während eine Kleine,
Dunkle, die eine trotzige Unterlippe hatte, tanzte, flüsterte sie: »Eine Belgierin...«
Der rutschte die linke und später die rechte Brust aus dem Büstenhalter. Danach
eine siamesische Tempeltänzerin (gewissermaßen), von der die Krakauerin mit
den glitzernden Augen sagte: »Sie tanzt sehr streng. Es interessiert mich, wie
sie's macht.« - Hermann Lenz, Seltsamer Abschied. Frankfurt
am Main 1990
Bardame (3)
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