Bankett  Im Vorraum nahten sich mir zwei bezaubernde Mädchen in Pumphosen, oben ohne, die Brust mit Vergißmeinnicht und Schneeglöckchen bemalt. Die beiden überreichten mir ein glänzendes Faltblatt. Ich sah es gar nicht an und betrat den Saal. Er war noch fast leer; der Anblick der Festtafel benahm mir den Atem, nicht weil sie üppig gedeckt war, nein, schockierend wirkten die Formen aller Pasteten, Vorspeisen und Beilagen. Sogar die Salate waren Geschlechtsteilen nachgebildet. Von optischer Täuschung konnte keine Rede sein, denn aus diskret versteckten Lautsprechern drang ein in gewissen Kreisen beliebter Schlager, der mit den Worten beginnt: »Wer heut nicht für Geschlechtsteil wirbt, ein Hundsfott, der's Geschäft verdirbt, denn heut ist jedem angenehm das Urogenitalsystem«.

Die ersten Bankettierer trafen ein, alle mit Rauschebart und martialischem Schnauz, im übrigen lauter junge Leute, im Pyjama oder auch ohne. Sechs Kellner trugen eine Torte herein; beim Anblick dieser unanständigsten Süßspeise der Welt konnte ich nicht länger zweifeln: ich hatte mich im Saal geirrt und war wider Willen beim Bankett der Befreiten Literatur gelandet. - Stanislaw Lem, Der futurologische Kongress. Frankfurt am Main 1996

 

Fest Mahlzeit

 

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