ankert
»Ich, in dieser Wiege, bin Alexander Wladimirowitsch, die Frucht schuldhafter,
leidenschaftlicher und prinzlicher Liebe. Meine Mutter, aus dem Gefolge der
zu Besuch in dieser Stadt weilenden Poldeven-Prinzen, hat mit einem vornehmen
und unwiderstehlichen Einheimischen gesündigt. Schwerwiegende diplomatische
und dynastische Gründe haben ihre Heirat verhindert. Deshalb bin ich jetzt ein
verlassenes Waisenkind und Deiner Pflege, Bertrande Eusèbe, anvertraut. Die
beigefügte Geldbörse, voller dalmatischer und poldevischer Goldstücke, wird
für meinen Unterhalt und meine Erziehung sorgen, bis die Zeit für mich gekommen
ist, die Stellung einzufordern, die mir am Hofe zusteht. Meine Ernährung wird
folgende sein; jeden Morgen Milch, aber nur Gloria-Milch, in einer sauberen
Untertasse. Fleisch, aber nur vom Filet, gehackt und roh. Einmal in der Woche
Ostseeheringe mit Sahne. Das übrige je nach meiner Laune. Du, Bertrande, der
ich anvertraut bin, wirst diese Ehre zu schätzen wissen und mich infolgedessen
unter allen Umständen mit dem meiner Herkunft und meinem künftigen Rang gebührenden
Respekt behandeln. Vor allem aber wirst Du nur per Sie mit mir reden und meinen
Namen immer vollständig aussprechen. Jede Verniedlichung und jeder Spitzname,
sei es nun Alex, Wladi oder Miezekätzchen, ist strengstens verboten. Unterzeichnet:
unleserlich (auf poldevisch) PS: Für die Diät jeden Sonntag ein in Streifen
geschnittenes weichgekochtes Ei mit Schinkenspeck hinzufügen, wobei das Eigelb
in einem Eierkocher, ›Egg-Coddler‹ genannt, flüssig und warmgehalten werden
muß.«
In der Wiege lag tatsächlich ein kleines Katzenbaby mit langer Nase, leicht
exotisch, aber vornehm, auch die Schnurrhaare waren schon vornehm. Es machte
die Augen auf, schaute Madame Eusèbe an und zeigte mit einem (leisen) fordernden
Miauen an, daß es Hunger hatte. Madame Eusèbe beeilte sich. - Jacques
Roubaud, Die schöne Hortense. München 1992 (dtv 11602, zuerst 1985)