Bananenstrunk    Eines Tages fuhr der Tonga-König in seinem großen Doppelboot übers Meer. Da tauchte plötzlich eine schwarze Wolke am Himmel auf, und aus der Wolke fuhr ein starker, wilder Wind heraus. Der zerschmetterte das Boot, zerriß das Segel und wirbelte es über die Wogen weithin weg. Dann trat eine lange Windstille ein. »Der Wind hat einen scharfen Zahn«, sagte der König. »Wir können noch von Glück sagen, daß wir mit dem Leben davongekommen sind. Aber unser Segel ist hin. Greift zu den Paddeln, Leute, und rudert ans Land zurück!« Sie ließen den Mast herunter und fingen an zu rudern. Doch kamen sie nur langsam vorwärts, denn das Boot war groß und schwer beladen, weil so viele Menschen darin waren. Und als die Nacht sich auf die Wasser senkte, hatten sie erst eine kleine Strecke zurückgelegt.

Sie ruderten die ganze Nacht über und wurden matt und müde, und als der Morgen tagte, war das Land doch noch weit weg; in dieser üblen Lage verloren die Männer den Mut. »Wir sind hungrig und schwach«, sagten sie, »wir können nicht mehr rudern.« Dabei zogen sie die Paddeln ein und hüllten sich in Schweigen. Langsam trieb das Boot auf der Dünung hin.

»Wir wollen essen«, sagte der König. »Was haben wir noch an Bord?« - »Es ist nichts mehr da, Herr«, erwiderte ein junger Mann. »Die letzten Yamsknollen kochten wir gestern, bevor uns die Bö überraschte.« - »Wir müssen essen«, sagte der König nochmals, »niemand kann arbeiten, wenn er nichts ißt. Geht und seht nach, ob auf der Luvseite des Bootes nicht einige Bananenstrünke übrig sind.« Wohlverstanden, darin steckt ein verborgener Sinn. Auf dem tama, der Luvseite beim Doppelboot, halten sich die Frauen während der Seereise auf, denn sie dürfen sich nicht auf der kata, der Leeseite, sitzen. Wenn der König nun sagte: »Geht und seht nach, ob auf der Luvseite nicht einige Bananenstrünke noch übrig sind«, so bedeutet das: »Tötet eine Frau, die wir verzehren können.« Ein junger Mann nahm seine Keule und schaute nach den Frauen, die in großer Furcht nebeneinander hockten, denn sie hatten die Worte des Königs vernommen. Er suchte sich Talingo - die Vergessene- aus, die Tochter von Takape; er winkte ihr mit der Keule und sagte: »Komm, Talingo, der König läßt dich rufen.« Das Mädchen erhob sich, es trug seinen Säugling an der Brust und ging langsam auf das Hinterschiff, wo der König saß. Doch in dem Augenblick, als die Keule zum Schlage ausholte, sprang sie mit einem schrillen Schrei ins Meer und sank mit ihrem Kind unter. »Meinen Speer! Her mit dem Speer!« rief der König. »Gebt mir meinen Speer! Haha! Mit diesem Haken werde ich den Fisch schon fangen.« Grimmig lachend schwang er den Speer, den linken Fuß nach vorn gesetzt, und blickte gespannt ins Wasser, wo sie wieder emporkommen sollte.

Doch sie tauchte unterm Boot durch und kam zwischen den beiden Bootskörpern in die Höhe; hier blieb sie, verhielt sich ruhig und hielt sich an den Verbindungsbalken unter dem Deck fest. Da sagten die anderen nach einer Weile: »Die Haie haben sie samt dem Kind gefressen. Die kommt nicht wieder.«

Doch Talingo hielt sich verborgen, bis es dunkel wurde. Und in ihrem Versteck vernahm sie das Krachen der Keule, den Todesschrei des Getroffenen und das Geschwätz der Mannschaft, als sie das Opfer zubereiteten. Denn als der junge Mann, namens Faha, den König fragte: »Wen soll ich jetzt nehmen, denn die Haie haben das Mädchen verschlungen, und wir müssen essen«, da blickte der König ihn in wilder Wut an und schrie: »Jawohl, wir müssen essen. Und dich wollen wir essen. Warum schlugst du nicht zu, als sie ins Wasser sprang?« Und mit diesen Worten durchbohrte er ihn mit dem Speer, den er in der Hand hielt. Da hörte Talingo den Todesschrei und den dumpfen Schlag mit der Keule.   - Südsee-Märchen. Hg. Paul Hambruch. Köln Düsseldorf 1979 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

Banane

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