Ballsack    Wenn beim Training eine Krise ausgebrochen ist, dann ist der Zeugwart Schorsch mit seinem Ballsack auf das Feld gelaufen. Weil er hat gewußt, wenn die Spieler den Ballsack sehen, dann spüren sie es schon richtig, wie er gleich die Bälle auf den Rasen donnern läßt. Das mußt du dir vorstellen wie einen grollenden Wasserfall aus Lederbällen. Und in dem Moment, wo die Spieler diesen Wasserfall spüren, ist die Stimmung gerettet.

Jetzt hat sich der Zeugwart Schorsch natürlich gewundert, daß er mit seinem großen Ballsack zu den Spielern hinläuft und trotzdem die Mienen von den Spielern immer finsterer werden.

«Ist doch nicht so schlimm, die zwei Bälle im Bach», hat der Zeugwart noch einmal aufmunternd gerufen, und er hat den Spielern ein bißchen den Rücken zugedreht, damit sie den prall gefüllten Ballsack besser sehen.

Aber je besser die Spieler den Ballsack gesehen haben, um so blasser sind die geworden. Und keiner von ihnen hat ein Wort gesagt. Auch der Trainer hat jetzt eine Ruhe gegeben, und immerhin, das hat der Zeugwart ein bißchen als seinen Erfolg gesehen. Daß der nicht, wie es oft bei einem Donnerwetter ist, noch ein zweites Mal über die Spieler herfällt. Aber trotzdem, bei den Spielern hat sein Trick dieses Mal nicht richtig funktioniert, das hat er nicht übersehen können.

«Was ist los heute?» ruft er und schwenkt wie der Nikolaus den Ballsack auf seinem Rücken.

«Der Sack», sagt der Udo Sommerer. Der ist erst letzte Saison von der Jugend in die Kampfmannschaft nachgerückt, und ich weiß auch nicht, wieso ausgerechnet der Udo als erstes wieder die Sprache gefunden hat.

«Was ist mit dem Sack?» sagt der Schorsch und steckt kurz das Handy unter den Bund von seiner Sporthose, weil er die zweite Hand zum Sackaufbinden braucht.

«Der Sack!» schreien jetzt noch zwei, drei andere, weil es der Zeugwart immer noch nicht sieht.

«Was soll mit dem Sack sein?» schreit der Zeugwart. Er hat es nicht sehen können, weil hinten hat der Mensch keine Augen.

Aber jetzt hat er es auf einmal feucht auf seiner nackten Wade gespürt. Weil über Nacht im kalten Ballkeller hat der einunddreißigste Ball nur einen unscheinbaren Fleck in den Ballsack gemacht. Aber wie ihn der Zeugwart durch die Nachmittagshitze getragen hat, hat er wieder ein bißchen zu bluten angefangen. Und wie der Zeugwart bei den Spielern im Strafraum angekommen ist, hat sich schon die Kopfform ein bißchen im Jutesack abgezeichnet. Also ich möchte jetzt nicht den Jutesack vom Schorsch mit dem Grabtuch vergleichen, das sie da in Turin unten gefunden haben. Aber ein bißchen so mußt du es dir vorstellen, wie sich die Nase und die Augenhöhlen immer deutlicher abgedruckt haben. Und wie jetzt der einunddreißigste Ball auf die nackte Wade vom Zeugwart hinuntergetropft ist, hat er es endlich auch bemerkt.

Und da siehst du wieder einmal, wie wichtig es ist, daß ein Zeugwart immer ein Handy hat. Weil eine Viertelstunde später ist die Radkersburger Gendarmerie schon am Fußballplatz gestanden. Und nicht einmal eine Stunde hat es gedauert, da ist auch die Grazer Kripo schon dagewesen.

Aber die Grazer hätten sich ruhig Zeit lassen können, weil die Radkersburger Gendarmen ganz tüchtig, die haben ihnen keine Arbeit übriggelassen. Das Opfer ist eindeutig identifiziert gewesen, weil alle bis auf den Jugendtormann den Kopf erkannt haben. Er hat dem Feldbacher Stürmer Ortovic gehört, und sie haben erst vor ein paar Monaten eins zu null gegen Feldbach verloren. Ironie des Schicksals, ausgerechnet durch ein Kopfballtor vom Ortovic, Eckball in der 76. Minute, und am langen Eck ist der Ortovic aufgestiegen wie eine Rakete.  - Wolf Haas, Der Knochenmann. Reinbek bei Hamburg 2014

Ball Sack

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