Badezimmerfenster  »Wirklich, Mylord, ich bin froh, daß meine Mutter nichts versteht; denn sie würde sich sicher sehr aufregen, wenn sie Bescheid wüßte. Zuerst war sie entsetzt; aber inzwischen hat sie sich eine eigene Erklärung zurechtgelegt, und das ist bestimmt am besten.«

Die alte Dame, die strickend am Kamin saß, beantwortete einen Blick ihres Sohnes mit einem grimmigen Nicken. »Ich sagte immer, du solltest dich wegen des Bades beschweren, Alfred«, sagte sie unvermittelt mit der hochgeschraubten Stimme der Schwerhörigen. »Jetzt wird der Hauswirt ja hoffentlich nachsehen. Meiner Meinung nach hättest du das erreichen können, ohne die Polizei herzuholen. Aber so warst du immer schon seit den Masern, hast immer um jede Kleinigkeit ein Aufhebens gemacht.«

»Da sehen Sie's«, erklärte Mr. Thipps abbittend. »Es ist ganz gut, daß sie die Sache so anschaut; sie weiß nämlich, daß wir das Badezimmer abgeschlossen haben. Aber für mich war es ein arger Schrecken, Sir ... Mylord, sollte ich sagen ... da sehen Sie's, meine Nerven sind ganz ruiniert. So etwas ist noch nie geschehen, noch nie habe ich so etwas erlebt. In einem Zustand war ich heute morgen - ich wußte nicht, ob ich auf dem Kopf oder auf den Füßen stand, und mein Herz ist ein bißchen schwach. Ich wußte kaum, wie ich aus dem gräßlichen Badezimmer hinaus sollte und wie die Polizei anrufen. Es hat mich mitgenommen, Sir - keinen Bissen konnte ich beim Frühstück anrühren, auch beim Mittagessen nicht, und ich wußte kaum, wie alles bewältigen - telefonieren, Kunden absagen und Besprechungen abhalten den ganzen Vormittag.«

»Es muß sicher sehr bemühend gewesen sein«, sagte Lord Peter mitfühlend, »zumal wenn man so etwas vor dem Frühstück erlebt. Ich hasse alles Unangenehme vor dem Frühstück. Dann ist man so im Nachteil, nicht wahr?«

»Ganz recht, ganz recht«, pflichtete Thipps eifrig bei. »Als ich das Grauenvolle in meiner Badewanne liegen sah, splitterfasernackt noch dazu bis auf einen Zwicker, ich versichere Ihnen, Mylord, da drehte sich mir der Magen um, wenn Sie den Ausdruck entschuldigen wollen. Ich bin nicht sehr kräftig, und ich leide manchmal morgens an einer Übelkeit, und wie so alles zusammenkam, ja, da mußte ich das Mädchen einen Kognak holen lassen - ich weiß nicht, was sonst geschehen wäre. Ich fühlte mich so elend, obwohl ich im allgemeinen nicht sehr für Alkohol bin. Trotzdem mache ich es mir zur Regel, immer Kognak im Hause zu haben, für den Notfall, verstehen Sie?«

»Sehr klug von Ihnen«, sagte Lord Peter fröhlich. »Sie sind ein weitblickender Mensch, Mr. Thipps. Herrlich, was ein Schlückchen tun kann, wenn's notwendig ist, und je weniger man es gewöhnt ist, um so besser tut es. Hoffentlich ist Ihr Mädchen vernünftig? Es ist so lästig, wenn Frauen überall in der Wohnung ohnmachtig werden und schreien.«

»Oh, Gladys ist ein gutes Mädchen«, nickte Mr. Thipps, »und wirklich sehr vernünftig. Sie erschrak natürlich, das ist ja verständlich. Ich war selbst erschrocken, und es wäre nicht richtig, wenn ein junges Mädchen unter solchen Umständen nicht entsetzt wäre; aber wenn's brenzlig wird, erweist sie sich als ein sehr hilfreicher, energischer Mensch. Ich betrachte es als ein großes Glück, heutzutage ein gutes, anständiges Mädchen zu haben, wenn sie auch in Kleinigkeiten etwas nachlässig und vergeßlich ist; aber das ist ja nur natürlich. Es tat ihr wirklich sehr leid, daß sie das Badezimmerfenster offengelassen hatte, und obwohl ich zuerst böse war, als ich sah, was sich daraus ergeben hatte, war es nicht der Rede wert, nicht unter gewöhnlichen Umständen, wie man sagen könnte. Ich sagte bloß: ›Man hätte einbrechen können. Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal ein Fenster zuzumachen vergessen. Diesmal war es ein Toter, und das ist schon unangenehm genug; aber das nächste Mal könnten es Einbrecher sein, und dann werden wir alle im Bett ermordet werden.‹« - Dorothy Sayers, Ein Toter zu wenig. Frankfurt am Main 1973

Badezimmerfenster (2)

- N. N.

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