Badewannenmensch  Der Badewannenmensch unterscheidet sich vom gemeinen Waschmenschen, daß es ihm in erster Linie nicht ums Waschen geht, obwohl natürlich die Reinigung die Voraussetzung seines Unterfangens ist; während der Waschbär Gegenstände des Spiels und des Fraßes zwischen den Vorderpfoten reibt und das mit diesen Dingen auch manchmal sie ins Wasser tauchend doch sein wichtigstes Charakteristikum ist, daß er ein Waldbewohner ist, wo er mit gewölbtem Rücken (oft regte Ingrid meine Haltung auf, aufrecht sei der Mensch!) und hängendem Schwänze, schiefen Ganges ziemlich langsam und gleichgültig dahinschlendert guarda e passa, so kommt dabei die Gutmütigkeit seines Wesens so recht zum Ausdruck (post mortem). Die in seiner Umgebung vorgehen, hat er für alle Dinge Interesse, jederzeit zu lustigen Streichen geneigt, wird er beweglich und regsam, erhebt sich, daß das Wasser von ihm stürzt, sieht die Dinge mehr von oben und setzt sich zurück ins heiße Wasser, sein Kopf und die Wannenrandung. In der Regel geht er mit hereinbrechender Dämmerung und wird so vorzüglich ein Opfer von Fallgruben. Bei gutem Wetter schweift er auch im hellen Sonnenschein durch sein weites Gebiet, begegnet er dabei einem Mädchen, daß Brigitte (Birgi) heißt, grunzt er, weil er nicht reden kann, Brittgritt. Im Volksmund heißt er auch Schupp, weils ihm manchmal wie Schuppen von den Augen fällt (bei Sonne). Mir war es immer ein Rätsel, daß sich Pilatus die Hände im Wasser wäscht und daher suchte ich immer Bilddarstellungen in den Kirchen, da er die Zunge in einer Schüssel Wasser schlenkert (danebenstehend einen handtuchhaltenden Pagen hätte ich so erheiternd gefunden). Aber die Kirchen sind weit und der Wind der Lüge weht durch sie (ich träumte von einer Erdhöhle in einem Hang, von der eine mächtige Zunge hängt). Ebenso haben jodhaltige Bäder einen günstigen Einfluß bei Arterienverkalkung. Untersuchungen zeigen, daß durch Jodgaben der Blutfettspiegel normalisiert und die Gefäßelastizität erhöht wird. Aber wenn ich das Wannenbad nicht mit Jod anreichere, bleibt die Bronchitis, und die Vernachlässigung des Hustens kostet unzähligen Menschen das Leben; es lohnt sich nicht mit den Hausmitteln unserer Großmütter herumzudoktern, denn wir wollen ja älter werden und gesünder sein als die Mehrzahl unserer Großmütter, sag ich mir im Wannenbad, beobachte den Auswurf auf der Wasseroberfläche, der in meinem Fall sehr reichlich ist; dazu kommen die Anzeichen der Kurzatmigkeit, die ich daran merke, daß es mir nur mit Mühe gelingt, eine Kerze oder ein Streichholz auf eine etwas weitere Entfernung (Armlänge) auszublasen. Aber nicht diesen Versuch führte ich gestern abend durch, der ich von der Oberpfalz noch einmal in diese Wohnung gekommen war, vor meinem endgültigen Weggang alles zu regeln (Ingrid mußte dagewesen sein in den beiden Tagen, weil im Bad teilweise aufgeräumt war / im Schlafzimmer war mehr aus dem Schrank gerissen) und das Manuskript der Alexanderschlacht zu holen, das ich in der Oberpfalz vermißt hatte. Ich weiß nämlich, was geschehen ist, wenn der Waschbär Brigritt gegrunzt hat (ich muß ausholen). Es muß nämlich gelehrt werden, daß der häufigste Aufenthaltsort des Waschbären Wälder sind, welche von Flüssen, Bächen oder dergleichen durchzogen werden, oder bewaldete Seeufer wie unser Fischweiher am Schusterberg, in den ich lange die Hand hielt, daß ich den ansehnlichsten Karpfen manchmal den Bauch kitzelte; aber anderntags war oft einer von ihnen verschwunden, daß ich der Spur im Gras nachging, die sich im Wald verlief, wo ich nach langer Suche einen hohlen Baum fand und in der Höhlung Haare des Waschbären entdeckte (die Grannen am Grunde braun, in der Mitte gelbgilb und daraba schwarz gafarbt sand). Ich lehnte mich in den Baum und wartete auf den Waschbären, daß ich einschlief und erwachte, ohne ein Anzeichen des Bären entdeckt zu haben, daß ich mir nochmals die Haare vors Auge hielt, kein Zweifel, ein Waschbär, und schlief wieder ein; mein Brustkorb nahm eine eigentümliche birnenförmige Gestalt an, wodurch die Ausdehnungsmöglichkeit der Lunge beim Atmen eingeschränkt wurde. Natürlich begründete der Schaden, den der Bär anrichtete, nicht seine Tötung, deshalb legte ich die Fallgrube an, tief, viel Schweiß, in die ich fiel, als ich nachts in der Baumhöhlung aufwachte und heimging, mich ins Bett zu legen, wo ein wenig Wasser stand, weil ich drinnen bleiben mußte und nicht herauskam wegen irgend eines Verbrechens zum Tode verurteilt, will man mich nicht hinrichten, da tags darauf Himmelfahrt war, da ich plötzlich einen furchbaren Lärm höre und Dad schrie Hilfe! ich brenne! ich sterbe! und schrie Hilfe! ich brenne! ich sterbe! und schrie. Dann war es fünf Tage still. Es ist selbstverständlich, daß man mich später begnadigt hat (im Bericht eines jugoslawischen Kohlenschleppermaschinisten heißt es: Als wir nach dem furchtbaren Krachen zur Besinnung kommen, ist auch auf unserem Schiff schon ein Teil der Besatzung verbrannt oder über Bord gesprungen und in dem kochenden Wasser der Donau getötet worden. Auch wir ringen schwer nach Atem, erkennen außerdem, daß wir in entsetzlicher Dunkelheit treiben und sehen im aufzuckendem Lichtschein Hunderte von schreienden und brennenden Menschen, die sich vom Deggendorfer Ufer in das kochende Wasser stürzen). In einer alles verheerenden Glutwolke fanden sämtliche 29 000 Bewohner der Stadt und Umgebung mit meiner Ausnahme den Tod, der ich wegen irgend eines Verbrechens zum Tode verurteilt wie ein Waschbär in einer Grube gefangengehalten wurde. Durch das Dach des Laubästedachs der Grube, durch das ich gefallen war, drängte sich Dampf mit Gewalt, daß ich eine Viertelstunde nach rechts eine Viertelstunde nach links sprang, um ihm zu entgehen. Natürlich wußte ich nicht, was geschehen war, aber ich hatte eine unbestimmte Angst, übersehen zu werden, bis mich fünf Tage später... das Bild eines im völligen Zusammenbruch begriffenen Menschen ist wirklich der Art, daß es sich keine Einbildungskraft, so unterrichtet und geübt sie auch sein mag, so schaffen kann, wie es wirklich ist. Das Majestätische, das Schreckliche, das unerwartet Große und Riesenmäßige, das Mannigfaltige auf einmal, die Wirkung auf andere Gegenstände, kann auch durch meine Feder nur etwas über Vulkangröße und einzeln beschrieben, das große erschütternde Ganze aber dem Leser nicht auf einmal vorgestellt werden. Als ich dann, längst nicht wiederhergestellt zum erstenmal in den Wald ging (ich muß etwas ausholen). Vulkanische Asche ist zu Staub explodiertes Magma. Eine explosive Gasentladung reißt von dem flüssigen Magma Teile in die Luft, zerreißt sie bis zu winzigen Stücken, die vom heißen Dampfstrahl kilometerhoch geschleudert werden, häufig erstarrt durch ihre große Oberfläche zur winzigen Masse, kaum noch handwarm langsam, bei kurzem Flug noch heiß herabschwebend, zu Millionen und Abermillionen und aberaberfei-nen Staubteilchen langsam wachsend Millimeter für Millimeter viele Meter hoch, alles in ein graues weiches Tuch hüllend, alles erstickend, Städte Dörfer Felder Wälder Zweige; durch die kahlen Bäume hörte ich, daß ich wie ein Waschbär grunzte, sah ich über und über nackt und grau und ohne Schatten mit weich hervortretenden Brustwarzen und schöner und schlimmer gewölbtem Bauch als sonst, sah ich, als hätte sie sich im Moraste herumgewälzt im siedenden Schlamme, trat sie aller Einzelheiten entblößt auf eine permanente Blöße heraus, daß ich schreiend und vor Grauen fast irre irri girrit griritt britritt brittgitt brigritt brittgritt brittgritt grunzte, als, wie ich es geschildert habe, Birgi aus dem verstümmelten Wald trat und mich sah. Die Ausbruchswolke soll bis 30 000 m hoch gestiegen sein, also bis weit in die Stratosphäre. Monate später zeigten sich im Osten Amerikas herrliche farbige Dämmerungserscheinungen. Vier Tage nach dem Ausbruch war im 3000 km entfernten Kairo die Sonne verdunkelt. Aller Pflichten entledigt (der Gedanke, wem ich den Bernhardiner schenken sollte, beschwerte mich nicht), war ich aber von den Dingen im Bad von versauten Hosen und schmierigen Büstenhaltern von zerknitterten Hemden und aus der Maschine geholter gewaschener am Boden naß liegen gelassener Wäsche, achtete auf die mehrfachen Verdrehungen am Rande, legte ich mich flach in die Wanne, hier ebenso von Wörtern befallen, war ich meines baldigen Zusammenbruchs gewahr und wollte heute nach Frankfurt fahren, dort zu explodieren, dann wäre die Rauchsäule noch in Osnabrück zu sehen, das Getöse der Explosion noch in Stockholm deutlich zu hören. Die Dämpfe würden über ganz Europa hinwegfegen, und noch in Khartum würde blankes Messing blind anlaufen. Auch die zum Trocknen aufgehängte Wasche würde hier von der in den Gasen enthaltenen Schwefelsäure zerfressen werden und beim Bügeln auseinanderfallen. In Flensburg riefen säurehaltige Regentropfen auf Gesicht und Händen schmerzende Brandwunden hervor. In Köln läge die Asche über 20 cm hoch; und was vor allem den Schrecken der Naturerscheinung erhöhen würde, die Stadt wäre 60 Stunden lang in eine so absolute Finsternis gehüllt, daß eine Taschenlampe nicht zu sehen wäre, wenn man sie mit ausgestrecktem Arm vor sich hielte.  Zwischen Mainz und Wiesbaden und Hanau gäbe es wohl keinen Überlebenden. An der Stelle von Frankfurt wäre ein Loch in der Erde von über einem Kilometer Tiefe; in dieser Tiefe ein See von siedendem geschmolzenem Sand mit aufsteigenden 1000 Grad heißen Gasen. Main- und Rheintal wären vom Spes-sart bis Worms ein Chaos von plötzlich aufreißenden Spalten mit glühenden Lavaströmen, Rauch- und Aschenmassen, kochendem Wasser und ungeheueren Mengen an Wasserdampf. Monatelang könnte sich niemand dichter an die Ausbruchstelle heranwagen als bis auf die Höhen  des Odenwalds.   - (acht)
 
 

Badewanne Menschen, wirkliche

 

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