utofahrerin Nach
fünf Minuten Fahrt über die Route 17 beschloß er, Rachel zu vergessen und sich
nur noch für stille Fußgängerinnen zu interessieren, sollte er je wieder unverstümmelt
und lebend zum »Trocadero« zurückkommen. Sie fuhr, als wäre sie auf Urlaub aus
der Hölle hier. Er zweifelte nicht daran, daß sie ihre Fähigkeiten und die des
Wagens kannte, aber wie konnte sie etwa wissen, wenn sie in einer unübersichtlichen
Kurve dieser schmalen Straße überholte, ob der entgegenkommende Milchwagen noch
so weit entfernt war, daß sie sich mit wenigstens einem Millimeter Abstand wieder
einfädeln konnte? - (
v
)
Autofahrerin (2) Conny fuhr. »Wenn ich einen Unfall baue, handelt es sich um glatten Mord«, sagte sie. Sie trat auf die Bremse und sah ihn nach vorn fliegen. Ihre blonden Locken wippten lustig. Er hielt sich am Türgriff fest. Sie sah seine runzlige weiße Hand an, die den Türgriff umklammerte, und sagte: »Glaubst du wirklich, wenn du dich am Griff festhältst, fliegst du nicht durch die Windschutzscheibe, wenn ich es darauf anlege ?« Und wie um den Beweis dafür anzutreten, fuhr sie fast auf den Vordermann auf, der vor der nächsten roten Ampel wartete.
Die Kinder saßen zusammengekauert im Fond. »Sagt bloß nicht, ihr habt Angst
vorm Sterben!« rief sie über die Schulter. -
Irene Dische, Fromme Lügen. Frankfurt am Main 1989
Autofahrerin (3)
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Eric Stanton, Baroness Steel
Autofahrerin (4)
Autofahrerin
(5)
Sie fährt. Es staubt. Die Sonne scheint ihr ins Gesicht. Sie blinzelt
nicht. Kann sein, sie wird bald tot sein. Sie trägt einen Ring. Ihr Gürtel ist
breiter. Am breitesten ist ihr Mund. Ich streichle sie. Sie merkt nichts. Vielleicht
ist sie ein Mann? In ihrem Herzen blüht eine weiße Lilie. Ihre Rippen sind scharf
wie ein Messer. Du stinkst. Sie dreht das Lenkrad. Die Straße ist gerade. Neben
der Straße liegt ein Totenschädel. Dort noch einer.
Die Felder sind grau und gelb. Da steht ein Baum, voll welker Blätter. Die Blätter
klimpern. Im Baum, da hing ein schwarzes Schwein.
Es war aufgeschlitzt. Die Därme quollen heraus. Wer wird sie waschen? Auf einer
Stange sitzt eine Eule in der hellen Sonne. Meine Freundin hat einen kleinen
Leberfleck in der Grube überm Schlüsselbein. Sie fährt jetzt schneller. Meine
Mutter hat geraucht, eine Zigarette nach der andern. Einmal habe ich sie dafür
geschlagen, im Traum. Ein andermal wurde sie operiert, aber dreizehn Krankenschwestern
versperrten mir den Zugang. Wo wird sie heute übernachten? Ein leeres Bett wartet
schon irgendwo auf sie, oder auch nicht. Sie ist hungrig. Um ihre Nasenlöcher
ist ein Staubsaum. Sie ist allein. Ich habe sie immer nur allein gesehen, außer
auf den Photos. Mit anderen zusammen ist sie nicht wiederzuerkennen. Sie spielt
das Zusammensein. Und sie spielt nicht sehr gut. - Peter Handke, Der Bildverlust.
Frankfurt am Main 2002
Autofahrerin (6)
- Eric Stanton
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