utoevolution
Die zerebro-technische Selbstbehandlung ist ein risikohaftes
und damit ein Hazardspiel, beinahe so wie das Spiel der Evolution, obgleich
bei diesem Spiel jeder selbst die Entscheidung trifft, während das in der Natur
die natürliche Auslese für die Arten tut. Eine so enge Verwandtschaft zweier
situativ so verschiedener Spiele erscheint paradox, aber wenn ich euch auch
nicht in die tiefen Geheimnisse der Toposophie einführen kann, so will ich doch
die Ursachen der Ähnlichkeit streifen. Daß die Aufgabe, die Effektivität des
Hirnzuwachses zu messen, nur von oben nach unten und niemals von unten nach
oben gelöst werden kann, hat seinen Grund darin, daß der Geist auf dem jeweils
erreichten Niveau lediglich die diesem Niveau entsprechende Fähigkeit der Selbstbeschreibung
besitzt. Hier bietet sich uns ein bereits deutlicher gewordenes, vergrößertes
Gödelsches Bild: Um nämlich etwas herzustellen, was sich als Konstruktion der
nächsten Generation bewähren soll, bedarf es stets reicherer Mittel, als sie
jeweils zur Verfügung stehen, also unerreichbarer Mittel. Der Club ist dermaßen
exklusiv, daß von dem Kandidaten, der sich um die Mitgliedschaft bewirbt, eine
Eintrittsgebühr verlangt wird, die in jedem Fall höher ist als das, was er bei
sich hat. Hat er sich aber, unter großen Risiken weiter wachsend, schließlich
die reicheren Mittel mühsam beschafft, so wiederholt sich die vorher gegebene
Situation, denn sie werden wiederum nur von oben nach unten wirksam sein und
damit zu spät kommen. Es handelt sich also um eine Aufgabe, die man ohne Risiko
immer nur dann bewältigen kann, wenn sie bereits mit vollem Risiko bewältigt
worden ist. Die Vermutung, dieses Dilemma sei trivial, da es auf die Verlegenheit
des Freiherrn von Münchhausen hinauslaufe, der sich an den eigenen Haaren aus
dem Sumpf ziehen mußte, entspricht nicht der Wahrheit. Die Erklärung dagegen,
daß sich in diesem Sachverhalt die Natur der Welt manifestiere, kann man schwerlich
als befriedigend anerkennen. Zweifellos manifestiert sich diese Natur in der
Periodizität, dem eigentümlich diskontinuierlichen Charakter der Erscheinungen
auf allen Ebenen: der Körnigkeit der Elemente, auf welcher deren chemische Bindungsfähigkeit
beruht, entspricht die Körnigkeit des Sternenhimmels. So gesehen sind die Quantenzuwächse
der Vernunft, die sich über den Nullzustand des vernunftbegabten Lebens emporschwingt,
eine Fortsetzung des gleichen principium syntagmaticum, das der Entstehung
von nuklearen, chemischen, biologischen und galaktischen Verbindungen zugrunde
liegt, doch wird dieses Prinzip keineswegs durch seine universale Verbreitung
erklärt. Erklärt wird es ebenfalls nicht durch das dem Fragesteller entgegengehaltene
Argument, daß er diese Frage nicht stellen könnte, wenn es das Prinzip im Kosmos
nicht gäbe, da er dann nicht hätte entstehen können. Erklärt wird es gleichfalls
nicht durch die Hypothese eines Schöpfers, denn wenn man diese - unabhängig
von der Zensur der Dogmatiker - prüft, zeigt sich, daß sie eine gänzlich verborgene
Unverständlichkeit postuliert, mit der uns die überall sichtbare Unverständlichkeit
erklärt werden soll. Aber schon die Theodizee mit ihrer affektiven Grundlage,
die unter dem Gewicht der Tatsachen unzählige Male zusammengebrochen ist, führt
den Fragesteller in die Irre. Da ist es dann doch leichter, sich auf die nicht
minder bizarre Hypothese der grenzenlosen Gleichgültigkeit des Schöpfers einzulassen.
- Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main
1986 (zuerst 1973)
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