ussterben  Denken wir an irgendwelche Kultur, oder Zivilisation, oder Gesellschaft; Familien, Stämme, Nationen: Religionen. Und jene Forderungen, wie sie erfahrene, gelassene und beflissene Gehirne formulieren; jenes Die-Welt-Betrachten, und Die-Tiere-zur-Kenntnis-Nehmen, wie sie geboren werden, sich vermehren und sterben; und, mit halbgeschlossenen Lidern, jenes Erforschen des unmöglichen und lebenspendenden Sonnenlichtes, und jenes Augenzwinkern des Mondes und das Gewümmel weit entfernt leuchtender Herden. Und eine Million Jahre Meditationen; dann eine Million Jahre aussichtslose Zerstreutheit: danach anderthalb Millionen Jahre Gebete, Theologie, Erwartung von Wundern, die die Lösung bringen; dann anderthalb Millionen Schweigen, verlassen die Felskreise, welche als Tempel dienten. Drei Millionen Jahre, wie sie Historiker erlebten, dann zwei Millionen Jahre Theosophen, mit gewissen positivistischen Randerscheinungen, die danach vielleicht für eine Million Jahre die Welt bestimmten. Hundert Millionen Jahre sind viel, vielleicht zuviel; eines Tages, möglicherweise an einem regnerischen Donnerstag, zog ein Genie von einem Dinosaurier die Konklusion, daß es eine große Anstrengung ist, Herr über eine unverständliche Welt zu sein; worauf, mit dem Einverständnis aller, die Dinosaurier zu sterben begannen. - Giorgio Manganelli, nach (loe2)

Aussterben (2)  Mein Freund Ramón läßt sich schwer atmend in den gewaltigen Sessel fallen — in den letzten Jahren ist er dermaßen fett geworden, daß sich kaum noch Sitzgelegenheiten für ihn finden — und eröffnet mir ohne Umschweife, daß die Dinosaurier wegen ihrer eigenen Dummheit ausgestorben sind.

»Diese immensen Kreaturen«, sagt er, »hatten nur wenig Grips beziehungsweise, was dasselbe ist, sie verfügten nur über ein winziges Gehirn. Es fehlte ihnen an Empfindsamkeit, und sie empfingen verspätet und auf unzureichende \Veise die Botschaften, die ihnen das Gehirn von der Peripherie ihrer gewaltigen, einer gealterten Witwe ohne Korsett ähnelnden Körper sendete. Die Nacht brach an, sie schliefen vom Mond beleuchtet (vielleicht träumten sie von unmöglicher Liebe) und während sie schliefen, wurden sie von anderen, viel kleineren Tieren, straflos bei lebendigem Leibe aufgefressen.«

»Aber sind sie denn nicht von den Schmerzen aufgewacht?« fragte ich.

Ramón antwortet mir mit demselben Ernst, als spräche er von seinen ältesten Vorfahren. Er sagt, als sie endlich aufwachten,  sei es bereits zu spat gewesen.

»Mehr als ein Dinosaurier mußte, als er erwachend den Kopf hob, entdecken, daß er sich in ein riesenhaftes Skelett verwandelt hatte.«

All das erzählt mir Ramoncito mit einer für große Anlässe reservierten, feierlich tönenden Stimme. Aber hinter seinen Worten verbirgt sich ein Anflug von Trauer. »Es muß schlimm sein«, fährt er mit einem tiefen Seufzer fort, »zu erwachen und sich als ein Haufen mehr schlecht als recht zusammengesetzter Knochen wiederzufinden.«  - Javier Tomeo, Zoopathologie. Berlin 1994 (zuerst 1992)

Aussterben (3)  Die Wollust stirbt aus. Man versteht nicht mehr zu genießen. Unsere Sache ist das Intensive, das Ungeheure, die Geschwindigkeit, sind die unmittelbaren Beeinflussungen der nervösen Zentren auf dem kürzesten Weg.

Die Kunst, und sogar die Liebe, werden neuen Formen der Zeitverschwendung und des Lebensüberschwanges Platz machen müssen; und wie diese Formen aussehen, wird sich zeigen ...   - (deg)

 

Verschwinden Sterben

 

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