usstechen
Der edle Herr, ein beleibter, krummgewachsener, haariger, winziger, aber bärenstarker
Teufelskerl, hatte beiläufig, ich weiß nicht aus welchem Zufall, der Gräfin,
seiner Frau, eine Tochter gezeugt, die mit sechzehn Jahren schon als ein Wunder
an Schönheit galt. Der Graf von Moncayo hatte um ihre
Hand angehalten, hatte aber das Pech gehabt, anläßlich einer Zeremonie am Hofe
den Grafen von Ciria auszustechen. Eine solche Schmach
konnte nie getilgt werden, und so wurde Moncayos Werbung mit Hohn und Spott
abgewiesen. Über dieses Verhalten des Ciria aufs äußerste erbittert, rückte
Moncayo heran, fiel seine Burg mit Waffengewalt an, erstürmte sie und notzüchtigte
die schöne Leonora. Ciria war der Ansicht, ein adeliges Mädchen, das man genotzüchtigt
hat, verdiene nicht, länger am Leben zu bleiben, und stieß ihr väterlich liebevoll
sein Schwert in den Leib. Anderntags berannte er das Schloß des Grafen, nahm
ihn gefangen und erschlug ihn eigenhändig. Nun könnte man meinen, der Streit
sei damit beigelegt gewesen. Doch nein, bei weitem nicht! Ciria schwor, er werde
immer wieder in die Grafschaft Moncayo einfallen, alle Jungfrauen, denen er
begegne, vergewaltigen und ihnen hernach den Bauch aufschlitzen, zur Vergeltung
für das Verbrechen ihres gnädigen Herrn, mit dem sie freilich nicht das geringste
zu schaffen hatten. Als Ciria ihrer rund dreißig vergewaltigt und umgebracht
hatte, kehrte er auf seine Güter zurück, erholte und stärkte sich und fing dann
wieder von vorne an. Die Leute des Moncayo erhoben Anklage gegen ihn beim König
von Aragon. Dieser König, der sich nur mit Mühe gegen den König von Kastilien
behauptete und dem daher alles daran lag, seine mächtigen Vasallen nicht vor
den Kopf zu stoßen, hörte nicht auf die Bauern. Diese wußten sich keinen anderen
Rat, ihre Töchter vor der Wut des rasenden Rächers zu sichern, als daß sie sie
wohl oder übel selber entjungferten, noch ehe sie einen Mann in Versuchung führen
konnten. Dieser Brauch dehnte sich auch auf die Nachbarländer aus und hat sich
bis auf den heutigen Tag ziemlich unverändert erhalten; darum sind allerorten
die Jungfrauen so rar.
- Charles Pigault-Lebrun, Trufaldino.
Nach: Meistererzählungen
des französischen Rokoko. Hg. Walter Widmer. München 1962
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