Zum Exempel: Euer Oheim
wäre diesen Morgen achtzig Meil weges her zur Stadt gekommen, euch zu sprechen,
und wollte morgen mit anbrechendem Tage schon wieder weg. Ein guter Bruder
von euch, auch ein Bedienter, dem ihr, wie er außer Diensten gewesen, Geld
geliehen, wäre damit weg nach Irland gelaufen. Ihr hättet von einem alten
Mitbedienten Abschied genommen, der zu Schiffe nach den Barbadoes gegangen.
Euer Vater hätte euch eine Kuh zu verkaufen geschicket, wozu ihr vor neun
Uhr des Abends keinen Kaufmann bekommen können. Ihr hättet von einem lieben
Vetter Abschied genommen, der am Samstage sollte gehenket werden. Ihr hättet
unterweges einen Fuß verrenket, und wäret gezwungen gewesen drey Stunden
in einem Laden zu bleiben, bis ihr wieder einen Schritt hättet thun können.
Ihr wäret mit einem Nachtstuhle oben aus einem
Dachfenster herab begossen worden, und hättet euch geschämet, eher nach
Hause zu kommen, als bis ihr euch wieder rein gemacht hättet, und der Gestank
verflogen wäre. Die Werber hätten euch mit Gewalt zu Soldaten
machen wollen. Ihr hättet euch mit ihnen herumgeschlagen; wäret aber darüber
in die Wache genommen und vor den Richter geführet, der euch drey Stunden
aufgehalten, ehe er euch zum Verhör gelassen, da ihr denn noch endlich
mit der größten Schwierigkeit wieder frey gekommen wäret. Ein Gerichtsbedienter
hätte euch aus Irrthum als einen bösen Schuldner beym Kopfe genommen, und
euch den ganzen Abend in der Wache sitzen lassen. Man hätte euch gesagt,
euer Herr wäre in ein Weinhaus gegangen, und hätte
daselbst ein Unglück gehabt. Ihr wäret darüber so bekümmert geworden, daß
ihr seine Gnaden in mehr als hundert Weinhäusern zwischen Pall-mall und
Temple-bar gesuchet. - (swi)
Ausrede (2) Sempronius tritt auf mit einem Diener Timons.
SEMPRONIUS Bestürmen muß er mich vor allen andern?
Den Lucius und
Lucullus könnt er angehn,
Und auch Ventidius ist nun reich geworden,
Den er vom Kerker losgekauft! Sie alle
Verdanken ihren Wohlstand
ihm.
DIENER Mylord,
Geprüft sind sie und falsches Gold gefunden; Sie weigerten ihm alle.
SEMPRONIUS Weigern
ihm?
Ventidius und Lucullus weigern ihm?
Nun schickt zu mir er?
Alle drei? Hm, hm!
Das zeigt in ihm nur wenig Lieb und Urteil.
Ich,
letzter Trost? Die Freunde sind wie Ärzte,
Gaben ihn dreifach auf; ich soll ihn heilen?
Sehr hat er mich gekränkt;
ich bin ihm böse,
Daß er mich so verkennt: Kein Grund und Sinn,
Weshalb
er mich zuerst nicht angesprochen,
Denn ich, auf mein Gewissen, war
der erste,
Der Gaben je von ihm empfangen hat.
Und nun stellt er
mich in den Hintergrund,
Daß er zuletzt mir traute? Nein, dies würde
Nur Gegenstand des Spotts für all die andern;
Ein Tor nur stand
ich da vor all den Lords.
Dreimal die ganze Summe gab ich lieber,
War
ich der erst, nur um mein Zartgefühl;
So schwoll mein Herz, ihm Gutes
zu erweisen!
Zum Nein der andern sei das Wort gesellt:
Wer meine
Ehre kränkt, sieht nie mein Geld.
Geht ab.
DIENER Ganz unvergleichlich! Euer Gnaden ist ein recht frommer Schurke.
Der Teufel wußte nicht, was er tat, als er den Menschen spitzfindig machte;
er stand sich selbst im Lichte, und ich kann nichts anders glauben, als
daß durch so nichtswürdige Klugheit der Sünder
sich noch zum Heiligen disputiert. Wie tugendhaft
strebte der Lord, um niederträchtig zu erscheinen! Frommen Vorwand nimmt
er, um gottlos zu sein; denen gleich, die mit inbrünstigem Religionseifer
ganze Königreiche in Brand stecken möchten. - Shakespeare, Timon
von Athen
Ausrede (3) Ultra posse nemo obligatur
heißt: »Niemand kann zu dem genötigt werden, was seine Kraft übersteigt.« Dieser
Satz, der auf Celsus (100 n. Chr.) zurückgeht, ist natürlich nur mit
Einschränkung richtig. Denn oft sagt der Widerwillige, von welchem man etwas
verlangt: »Ich kann nicht«, und meistens kann der Mensch viel mehr leisten,
als er denkt, wenn er nur den guten Willen dazu hat. Der Satz: »ultra posse
usw.« enthält also mehr für den Pädagogen, Gesetzgeber und Feldherrn eine Mahnung,
als für den, der erzogen und geleitet werden soll, eine Rechtfertigung. -
Friedrich Kirchner,
Wörterbuch
der philosophischen Grundbegriffe
1907
Ausrede (4) Es gibt Leute, die machen aus
dem Humor eine tägliche Übung. Ich habe einige von dieser
Sorte gekannt. Ich habe auch festgestellt, daß diese Haltung die bequemste ist,
die man sich überhaupt denken kann. Gleichgültig, was diese Leute tun, ob es
eine Gemeinheit oder eine Hanswursterei ist, immer haben sie die Ausrede des
Humors parat. Aber auf diesen Humor dürften eigentlich nur die Einfaltspinsel
der Literatur hereinfallen. - Raymond Queneau, Eine Modellgeschichte.
München 1985
Ausrede (5)
Ausrede (6) Mein lieber Bruder
Dafür, daß ich Dir weitläufftig (und anders wäre es nicht möglich) erzähle,
warum ich Dir nicht habe schreiben können, will ich lieber gleich anfangen eigentlich
zu schreiben; es könte sonst leicht kommen, daß mein ganzer Brief von solchen
Ursachen voll würde, wodurch Du doch am Ende weiter nichts erführest, als was
Du schon weißt, daß nemlich Dein Bruder Ursachen gehabt hat, warum er bisher
mit seinen Briefen ausgeblieben ist. Ich habe bey meiner Correspondentz bisher,
um nur fertig werden zu können, nach dem Grundsatz verfahren müssen, an alle
diejenigen nicht zu schreiben, von deren Bereitwilligkeit, den Mantel der Liebe
über ein solches Verfahren zu schlagen, ich am sichersten überzeugt seyn konte,
und so siehst Du wohl, müssen die Brüder zu erst daran. Wärest Du blos Ober
Appellations= Rath und nicht mein Bruder, so hätte ich mir vielleicht Ew. Wohlgebohren
in ein paar Zeilen zu geneigtestem Andencken gehorsamst zu empfehlen die Freyheit
genommen, so ungerne ich auch sonst zu Nehmung solcher Freyheiten schreite.
- Lichtenberg an Friedrich Christian Lichtenberg,nach (
mehr
)
Ausrede (7) In
einem Kapitel von De civitate Dei mit dem Titel »Widerlegung der Lehre,
dass selbst Gottes Wissen das Unbegrenzte
nicht erfassen könne« lesen wir: »Damit kommt man unabweislich zu der mehr als
gewagten Behauptung, die eine abgründige Gottlosigkeit
in sich schließt, dass Gott nicht alle Zahlen weiß. Denn
die sind unbegrenzt, kein Zweifel. ... Kennt sonach Gott die Zahlen wegen ihrer
Unbegrenztheit nicht alle, reicht sein Wissen von den Zahlen nur bis zu einer
bestimmten Summe und weiß er die übrigen nicht? Von Sinnen wäre, wer das sagte.
... Auch der Prophet sagt von Gott: ›Er führt die Zeiten hervor nach der Zahl‹
und der Heiland lässt sich im Evangelium vernehmen: ›All eure Haare sind gezählt‹.
Weg also mit dem Zweifel, als wäre ihm nicht jegliche Zahl bekannt, ihm, von
dessen Erkenntnis der Psalmist singt, dass ihrer ›keine Zahl ist‹. ... Wenn
daher alles, was durch Wissen erfasst wird, durch das Erfassen des Wissenden
begrenzt wird, so ist sofort auch alle Unbegrenztheit auf eine unaussprechliche
Weise für Gott begrenzt, weil sie seinem Wissen nicht unerfassbar ist.« -
Augustinus
,
nach
(bar2)
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