Zuerst hauchte sie ein schrecklicher Gestank an, wie aus der Hölle. Dann
sahen sie alsbald unter der ausgegrabenen Erde die dunkel gewordenen, wie verrostet
wirkenden Bretter des Sarges. Die Arbeiter schlugen die Keile heraus und hoben
den Deckel. Das Gesicht des Simon, den sie den Wundertäter nannten, sah einer
zerfressenen, aussätzigen Masse ähnlich, und aus den Augenhöhlen krochen Würmer
hervor. Nur die gelblichen Zähne bleckten wie in einem
Krampf oder als lachte Simon. - (
kis
)
- (
sim
)
Ausgrabung (3) Im
Jahre 1925 traf Malraux in einer Bar in Singapur einen russischen Sammler,
der auf Kosten des Bostoner Museums reiste, um Kunstgegenstände anzukaufen.
Nach dem ersten russischen Redeschwall zeigte er ihm fünf kleine Elfenbeinelefanten,
die er eben einem Inder abgekauft und wie die Orgelpfeifen vor sich auf den
Tisch gestellt hatte. «Sie sehen, lieber Freund, ich kaufe kleine Elefanten.
Wenn wir Ausgrabungen machen, stecke ich sie in die Gräber vor dem Wiederzuschütten.
Fünfzig Jahre später werden andere Leute, wenn sie die Särge wieder öffnen,
sie hübsch patiniert und verwittert drinnen finden und sich furchtbar darüber
den Kopf zerbrechen... Ich mache gern denen, die nach mir kommen, ein wenig
Kopfzerbrechen; auf einem der Türme von Angkor-Wat, lieber Freund, hafce ich
eine äußerst unanständige Inschrift in Sanskrit eingraviert; hübsch verschmiert,
sieht sie sehr alt aus. Irgendein Pfiffikus wird sie entziffern. Man muß die
biederen Menschen ein bißchen ärgern...» - C. W. Ceram,
Götter Gräber und Gelehrte. Reinbek bei Hamburg 2000 (zuerst 1949)
Ausgrabung (4) Zangen, Messer senken sich fieberhaft auf den vertrockneten Leib, der wie Holz tönt, entblößen die Brust und den Bauch, die flach, entstellt, unsexuell sind und die in ihrer Schwärze streifige Flecken von gekochtem Rot aufweisen. Die an dem Leib klebenden Arme werden bloßgelegt, die Hände, die in einer erstarrten Bewegung der Scham, der gleichen Bewegung wie die der Venus der Medici sich mit den Fingern und goldnen Fingernägeln auf die Pubis senken.
Aus diesem Anlaß sucht Dumas fils, der hergekommen ist, um den Geist des 19. Jahrhunderts zu vertreten, nach einem Pariser Bon-mot, findet keines und trollt sich. Eine letzte Binde wird von dem Gesicht gerissen und enthüllt plötzlich ein Emailauge, in dem die braune Iris ins Weiße ausgelaufen ist, ein lebendiges Auge, das Angst einflößt. Die Nase erscheint, eine Stupsnase, die zerbrochen und von der Balsamierung verstopft ist, und das Lächeln eines Goldblattes zeigt sich auf den Lippen des Köpfchens, auf dessen Schädel sich kurze Härchen zerfasern; man könnte meinen, sie seien noch von der Agonie feucht und verschwitzt.
Da lag sie ausgestreckt auf dem Tisch, vom vollen Tageslicht getroffen und
gezüchtigt, all ihre Scham im Hellen vor den Blicken. Es wurde gelacht, man
rauchte, man plauderte. Armer profanierter Leichnam, so fromm bestattet und
verhüllt; so sicher glaubte er sich der ewigen Ruhe, des ewigen Geheimnisses,
der unsterblichen Unverletzlichkeit, doch der Zufall einer Ausgrabung warf ihn
hierher, wie eine krepierte Zeitgenossin auf den Seziertisch eines Auditorium
maximum. - (
gon
)
Ausgrabung (5)
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