usgeburt  Er hat gesagt, ich forderte unentwegt Liebe, und sei selber dazu der unfähigste Mensch auf der Erde. Er hat gesagt, ich sei nie jemandes Frau gewesen, und würde nie jemandes Frau sein können. Er hat gesagt, ich sei die Getriebenheit in Person, und würde, mit wem immer, nichts als Unruhe stiften. Bei dem sanftmütigsten Wesen würde ich, über kurz oder lang, es schaffen, den Zerstörungsdrang, ob als Mordlust oder Sterbenssehnsucht, hervorzukehren und ihm diese Seiten dann als seine wahren einzureden. Er meint, das kindliche Geschöpf, als welches ich jedermann zu bezaubern wüßte, entpuppe sich, hätte ich mein Opfer nur in meine Kinderhöhle gelockt, als eine Ausgeburt, aus deren Fängen es kein Entkommen gäbe; ich sei eine Hexe Kirke, welche nicht nur einen jeden Gefährten des Odysseus, sondern auch diesen selbst in ein Schwein verwandle. Zusammen mit mir habe ihn geradezu ein Heimweh nach der Freiluft der Einsamkeit gepackt, vereint mit dem Entschluß, ja dem Gelübde, nie wieder in die Nähe einer Frau zu geraten. Durch mich sei es mit ihm inzwischen soweit gekommen, daß er, selbst wenn ihm die herrlichste Erscheinung schöne Augen mache, im stillen denke: Hau ab!   - Peter Handke. Die Abwesenheit. Frankfurt am Main 1990 (st 1713, zuerst 1987)

Ausgeburt (2) Wenn die Cervonis auch keine schönen Männer waren, so doch von rechtem Schrot und Korn. Aber dieser ungewöhnlich magere, bleiche Jüngling schien nicht mehr Blut in seinen Adern zu haben als eine Schnecke.

»Eine verfluchte Hexe muß das Kind meines Bruders aus der Wiege gestohlen und diese Ausgeburt der Hölle an seine Stelle gelegt haben«, sagte Dominic einmal zu mir. »Sehen Sie ihn bloß an! Sehen Sie ihn sich bloß an!«

Es war kein Vergnügen, Cesar anzusehen. Seine pergamentartige Haut schimmerte am Schädel kreidebleich durch die dünnen Strähnen schmutzig braunen Haares, .die ganz fest auf seine großen Knochen geklebt schienen. Obwohl er keineswegs irgendwie körperlich mißgestaltet war, kam er dem, was man im allgemeinen unter dem Wort »Monstrum« versteht, so nah wie nichts, was ich je gesehen habe. Daß diese Wirkung auf seine geistige und seelische Verfassung zurückzuführen war, unterliegt für mich keinem Zweifel. Es war der körperlich Ausdruck einer völlig hoffnungslos verderbten Natur, von der jedes Glied, einzeln genommen, gar nichts absolut Erschreckendes an sich hatte. Man stellte sich vor, er fühle sich kalt und feucht wie eine Schlange an. Dem leisesten Vorwurf, der mildesten gerechten Ermahnung begegnete er mit einem wütenden Blick, einem boshaften Zurückziehen seiner dünnen, vertrockneten Oberlippe und einem haßerfüllten Knurren, dem er noch das angenehme Geräusch knirschender Zähne beigesellte. Wegen dieses boshaften Betragens und weniger um seiner Lügen, seiner Unverschämtheit und Faulheit willen schlug ihn sein Onkel manchmal zu Boden. Aber man darf sich darunter keinen brutalen Angriff vorstellen, sondern man sah nur Dominies muskulösen Arm ganz bedächtig eine weit ausholende Bewegung machen, einen würdevollen Schwung, und Cesar purzelte wie ein Kegel um - das nahm sich sehr komisch aus. Aber wenn er erst einmal lag, dann krümmte und wand er sich an Deck und knirschte dabei vor ohnmächtiger Wut mit den Zähnen. Es war einfach schrecklich anzusehen. Und mehr als einmal geschah es auch, daß er zu unserer großen Überraschung unsichtbar wurde. Die volle Wahrheit ist, daß er sich einfach fallen ließ, ehe er überhaupt einen Schlag erhielt, und dann eilends verschwand. Er flüchtete Hals über Kopf in eine offene Luke oder Kappe, dann wieder versteckte er sich hinter hochkant stehenden Fässern, je nachdem, wo er gerade mit dem mächtigen Arm seines Onkels in Berührung kam.

Einmal - es war im alten Hafen kurz vor der letzten Reise der ›Tremolino‹ - verschwand er zu meiner größten Bestürzung über Bord. Dominic und ich hatten achtern über geschäftliche Dinge gesprochen, und Cesar war hinter uns hergeschlichen, um zu lauschen, denn neben allen anderen Eigenschaften war er auch noch ein abgefeimter Horcher und Spion. Beim Geräusch des lauten Plumpses längsseits hielt mich der Schreck wie angewurzelt auf der Stelle fest. Dominic trat jedoch ruhig an die Reling, lehnte sich über Bord und wartete darauf, daß der erbärmliche Kopf seines Neffen wieder auftauchte. »Ohé, Cesar!« rief er verächtlich dem platschenden Wicht zu. »Halte dich hier an der Achterleine fest - charogne

Darauf kam er zu mir her, um die unterbrochene Unterhaltung wieder aufzunehmen. »Was ist mit Cesar?« fragte ich besorgt.

»Canaglia! Lassen Sie ihn dort hängen«, war seine Antwort, und ruhig sprach er weiter über das vorliegende Geschäft, während ich vergebens versuchte, aus meinem Gedächtnis das Bild loszuwerden, wie Cesar bis zum Hals im Wasser des alten Hafens lag, in diesem Absud jahrhundertealter Schiffsabfälle. Ich versuchte das Bild loszuwerden, weil mir schon bei dem bloßen Gedanken an diese Flüssigkeit übel wurde. Kurz darauf rief Dominic einen Bootsführer an, der gerade nichts zu tun hatte, und beauftragte ihn, seinen Neffen herauszufischen. Eine Weile später erschien Cesar am Kai und kam an Bord. Er zitterte, das schmutzige Wasser lief an ihm hinunter, in seinem Haar hatten sich Reste verfaulten Strohs verfangen, und auf seiner Schulter war ein Stück schmutzige Apfelsinenschale liegengeblieben. Seine Zähne klapperten, seine gelben Augen warfen uns verstohlen giftige Blicke zu.   - (con)

 

Geschöpf

 

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