usbruch  FAZ vom 13. November 1978, S. 8: Zwei gehörgeschädigte Jugendliche haben einen 28jährigen anderen Gehörgeschädigten, weil er ihnen ein Autoschild verbogen und das Gerücht in die Welt gesetzt habe, sie seien Verbrecher, auf grausame Weise erschlagen. Sie zwingen den Wehrlosen einen Topf mit Leim zu trinken, filtrieren ihm einen »Kakaotrunk« aus Sprudel, Parfüm, Pfeffer und Salz ein, zertreten seinen Hörapparat, mühen sich, ihr Opfer mit Stromstößen aus dem Kabel eines Rassierapparats zu töten und erschlagen ihn dann mit Flaschen. Im Gerichtstermin weist der Gutachter darauf hin, daß sie lediglich über Geschmacks- und Tastsinne und ihre Augen verfügen. Sie seien gewissermaßen sinnlich-eingesperrt und hätten ausbrechen wollen, indem sie ihren Mangel an Sinnlichkeit am anderen Gehörgeschädigten rächen. Das Auge, ihr verbliebener Hauptsinn, sei nämlich ein »kaltes Sinnesorgan«, es vermittle nur kalte Eindrücke von der Welt, keine »warmen« Gemütskräfte.

Das Auge ist nicht von Natur, »an sich«, ein kaltes Organ. Die optische Wahrnehmung durchläuft einen Teil des Hirns, den Thalamus opticus (griech: »Sehhügel«), in dem sich die verschiedensten sinnlichen Spuren anderer Organe mit den Augeneindrücken so mischen, daß eine gemeinsame »emotionale Arbeit«, »menschliche Wärme« oder auch: »Abweisung« entsteht. Die massive Störung der anderen Sinne setzt diese Verarbeitung für den Augeneindruck außer Kraft. Nicht nur die menschliche Sinnlichkeit wird geboren durch den anderen Menschen, sondern auch die einzelnen Sinne gewinnen ihre spezifische Eigenschaft als menschliche Sinne durch die Arbeit der anderen Sinne. Die Isolierung voneinander macht die Monstren.   - Nach: Alexander Kluge, Die Patriotin. Texte/Bilder 1-6. Frankfurt am Main 1979

 

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