ufsteigen  Als ich mir vor vielen Jahren Piranesis ›Römische Antike‹ ansah, stand Coleridge dabei und beschrieb mir eine Reihe von Stichen dieses Künstlers, die seine Träume genannt wurden und die die Szenerie seiner Visionen während eines Fieberwahns wiedergaben. Einige von ihnen (ich beschreibe sie lediglich aus der Erinnerung an Coleridges Bericht) zeigten riesige gotische Hallen, auf deren Boden mächtige Maschinen und Geräte, Räder, Seile, Schleudern und so weiter standen, eine ungeheure Kraft ausdrückend, die sie freigesetzt, oder einen riesigen Widerstand, den sie überwunden haben. An der Seite der Mauern sah man eine Treppe sich hinaufwinden, und diese Treppe schritt Piranesi persönlich empor. Folge der Treppe ein Stück weiter, und du bemerkst, daß sie ein plötzliches Ende erreicht, ohne irgendein Geländer, und keinen Schritt dem erlaubt, der das äußerste Ende erreichen sollte, es sei denn hinunter in die Tiefe. Was auch immer mit dem armen Piranesi werden sollte, zumindest war zu vermuten, daß seine Mühen in irgendeiner Weise zu Ende gehen würden. Doch erhebe deinen Blick und erblicke weiter oben noch eine Treppe, auf der wieder Piranesi zu sehen ist, der diesmal unmittelbar am Rande des Abgrundes steht. Erhebe abermals deinen Blick und entdecke eine noch luftigere Treppe, und wieder befindet sich dort der phantasierende Piranesi, mit seiner hochstrebenden Arbeit beschäftigt; und so geht es immer weiter, bis sich sowohl die unendlichen Treppen als auch der hoffnungslose Piranesi in der oberen Düsternis der Halle verlieren.  - Thomas de Quincey, Bekenntnisse eines englischen Opiumessers. Leipzig 1981 (Gustav Kiepenheuer Bücherei 32, zuerst 1822)

Aufsteigen (2)  Der Wurm kroch auf Lucrezia zu, die ihn sitzend, in Regungslosigkeit und tiefernst erwartete. Er stieg durch die Furche zwischen dem großen und dem nächsten Zeh fußaufwärts, verweilte ein wenig in der Nähe der Fessel, umging den Knöchel und begab sich das Bein hinan in Richtung Knie. Überwand entschlossen die kleine Senke zwischen Wade und Schienbein, kreiste um den Schaft des Beines, verschwand für einige Sekunden aus der Sicht der Zuschauer! Vermutlich hatte er sich in der Kniekehle neben dem Beinmuskel aufgehalten. Er kam wieder hervor, bestieg die Kniescheibe und war nun endlich auf ebener Fläche. Doch zog er es vor, rasch über den Schenkel zu laufen; überhaupt hatte man den Eindruck, er wolle möglichst ohne Pausen seinen Weg machen, wolle unverzüglich nach oben gelangen. Auch nach Erreichung des Hüftknochens setzte er gleich seinen Aufstieg fort. Das Mädchen hatte unterdessen die Arme neben den Körper gebreitet, den Kopf ein wenig zurückgelegt und die Lider halb geschlossen; sie keuchte leicht, und dann immer stärker, je näher der Wurm an ihr Gesicht herankam. Dieser mied mit Vorbedacht den Nabel, glitt zwischen den Brüsten hindurch, sagen wir, ohne auch nur einen Blick auf sie zu werfen, begab sich an den Hals, überwand in kurzer Hängelage den Kinnvorsprung, erschien schließlich auf der Wange und bewegte sich auf das Auge zu.

Lucrezia schloß ihre Lider noch mehr; man konnte sehen, wie sie darunter ihre Augen verdrehte: «nein . . . nein . . .» flüsterte sie. Der Wurm erreichte eine Augenhöhle, glitt in Langsamkeit darüber, hielt inne, drückte sich darauf; «oh, oh», seufzte Lucrezia. Der Wurm drehte und drehte sich ganz langsam in den Augenhöhlen, wobei er den Nasenrücken überstieg, um von der einen in die andere zu gelangen. Seine gleichmäßigen und sicheren Bewegungen faszinierten die Zuschauer; alle glaubten, so etwas wie ein deutliches Summen zu hören, wie wenn man mit einem Finger über den feuchten Rand eines Glases fahrt, und das kam anscheinend von diesen Bewegungen. Lucrezia seufzte und wimmerte, zog die Augenbrauen ein wenig zusammen. Schließlich hielt der Wurm inne und schien ihren Lidern sanfte Gewalt anzutun; Lucrezia öffnete sie gerade ein wenig, und der Wurm strich über den Wimpernansatz, über den Lidspalt, erzwang ein Umstülpen und drängte, als wolle er zwischen Lid und Auge hinein. Die Ekstase des Mädchens dauerte an und steigerte sich.  - Tommaso Landolfi, Das Meer der Schaben, nach (land)

Aufsteigen (3)  Ich bin von dem Gedanken bedrückt, daß der Bruch in der menschlichen Zivilisation, der durch die Entdeckung der naturwissenschaftlichen Methode verursacht wurde, nicht wieder gutzumachen ist. Obwohl ich die Naturwissenschaft liebe, habe ich das Gefühl, daß sie so sehr gegen die geschichtliche Entwicklung und Tradition ist, daß sie durch unsere Zivilisation nicht absorbiert werden kann. Die politischen und militärischen Schrecken sowie der vollständige Zusammenbruch der Ethik, deren Zeuge ich während meines Lebens gewesen bin, sind kein Symptom einer vorübergehenden sozialen Schwäche, sondern eine notwendige Folge des naturwissenschaftlichen Aufstiegs, der an sich eine der größten intellektuellen Leistungen der Menschheit ist. Wenn dem so ist, dann ist der Mensch als freies verantwortliches Wesen am Ende.

Sollte die Menschenrasse nicht durch einen Krieg mit Kernwaffen ausgelöscht werden, dann wird sie zu einer Herde von stumpfen, törichten Kreaturen degenerieren unter der Tyrannei von Diktatoren, die sie mit Hilfe von Maschinen und elektronischen Computern beherrschen. - Max Born, in: Die zwei Kulturen. Literarische und naturwissenschftliche Intelligenz. Hg. Helmut Kreuzer, München 1987 (zuerst 1959/69)

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