ufstehen
Ich litt beträchtlich unter der Kälte,
aber es ist unrichtig, daß die polare Temperatur in Cambridger Schlafzimmern
das Wasser im Waschkrug zu einem Klumpen Eis gefrieren ließ, wie manche
Leute behaupten. In Wirklichkeit entstand selten mehr als eine dünne Eisschicht
an der Oberfläche, und die ließ sich mit Hilfe der Zahnbürste in hell klirrende
Stücke zerschlagen - ein Klang, der für mein amerikanisiertes Ohr in der
Erinnerung sogar einen gewissen festlichen Reiz besitzt. Aber sonst war
das Aufstehen keine Freude. Noch immer kann ich die Trostlosigkeit des
morgendlichen Gangs die Trinity Lane hinunter zu den «Bädern» in meinen
Knochen spüren; in einem dünnen Morgenrock über dem Pyjama, einen kalten,
fetten Waschbeutel unter dem Arm, bleiche Atemwölkchen vor dem Mund, schlurfte
man seines Wegs. Nichts in der Welt konnte mich dazu bringen, auf der Haut
die Wollsachen zu tragen, von denen die Engländer insgeheim warm gehalten
wurden. Mäntel galten als weichlich.
- (
nab
)
Aufstehen (2) Als Student hatte ich
einen Stubenburschen, der sich nicht leicht aus dem Bett zu finden vermochte.
Einst, als mir's daran lag, erreichte ich es auf folgende Weise. Ich rief
ihm von fünf zu fünf Minuten immer dasselbe Wort: »Steh auf!« zu. Das erste
Mal hatte es gar keinen Erfolg; das zweite Mal sagte er: »Laß mich in Ruhe!«,
das dritte Mal: »Es hilft dir alles nichts!« Das vierte Mal schwieg er,
aber er kochte; das fünfte Mal fing er an zu wettern und zu fluchen; das
sechste Mal rief er: »Es ist nicht auszuhalten!« Das siebente Mal hielt
er's wirklich nicht mehr aus, sprang aus dem Bett, um über mich herzufallen;
doch schwand sein Zorn alsbald, indem er nun selbst froh war, sich außer
dem Bett zu finden, und er hat sich nicht wieder niedergelegt. - Gustav
Theodor Fechner, Das unendliche Leben. München 1984 (Matthes & Seitz
debatte 2)
Aufstehen (3) Ich war einmal ein mäßiger
Schläfer und kannte einen Mann, der übermäßig lange schlief. Ich flehte ihn
an. ›Gewöhn dir doch ab, im Bett zu liegern, sagte ich.‹ ›Du wirst noch deine
Gesundheit ruinieren!‹ ›Du gehst doch auch zu Bett‹, sagte er. › Warum sollte
ich es aufgeben?‹ ›Ja‹, sagte ich, ›aber ich weiß, wann ich morgens aufstehen
muß.‹ Er wandte sich von mir ab. ›Du schläfst auf deine Weise‹, sagte er, »laß
mich auf meine Weise schlafen. Hau ab!‹ Da sah ich ein, daß ich zu seinem Nutz
und Frommen dem Schlaf abschwören mußte. Seit jener Stunde bin ich nicht
mehr im Bett gewesen! - Lewis Carroll,
Sylvie & Bruno. München 1986 (Goldmann 8552, zuerst 1889)
Aufstehen (4) Wenn ein Mensch stirbt, so
legt man den Leichnam zunächst auf das Bett, mit dem Gesicht nach oben. Man
zieht ihm neue Kleider an und legt ihm eine Hirseähre zu Häupten und ein Pflugmesser
auf die Brust, damit der Leichnam nicht aufsteht. Dennoch hört man zuweilen,
daß ein Leichnam aufsteht. Die alten Leute erzählen, ein Leichnam stehe auf,
wenn ihn der Atem lebendiger Menschen trifft oder Hund oder Katze ihn beschnüffelt.
Dann richtet er sich auf. Sitzt der Mensch, so setzt sich auch der Leichnam,
steht der Mensch, so stellt sich auch der Leichnam auf die Beine. Läuft der
Mensch in seiner Angst davon, so läuft der Leichnam ihm nach, wie von einer
geheimen Kraft angezogen. Doch können solche Leichen nicht sprechen. - (
chm
)
Aufstehen (5) Ungeachtet des
gewaltigen Bedürfnisses, sich umzudrehen und weiterzuschlafen, das er drinnen
im Hirnkasten verspürte, half man ihm um sechs Uhr auf die Beine. Er rutschte
mit steifem Hintern und pflegte vom Rand des Bettes, plum-plum, wie ein Bauer,
auf die Fersen zu fallen. Untersetzt und mit starkgliedrigen Beinen, die vom
Knie abwärts sich dicht behaart zeigten, in Anbetracht des strohgelben, mit
roten Parallelen versehenen Flanellhemdes, das ihn nächtlicherweile umhüllte,
pflegte er sich, ipso facto, noch ehe er ihn wachen Geistes abgewogen hatte,
des Plumpsers zu schämen: der auf den Dielen widerhallte, ungeachtet des Jammerlappens
von einem Bettvorleger, und der dieses atavistische
lever dem darunterwohnenden neurasthenischen Ingenieur kundtat, indem er ihn
schlagartig aufweckte. Weder dem nächtlichen Bergwind, beim Nachhausekommen,
noch später, im Bett, dem eiligen Wind der Träume war es gelungen, ihm die lammfellartige
Perücke zu zerraufen: schwarz, pechig, geschneckt und kompakt: die auch im Glanz
des neuen Lichtes, was immer der Pestalozzi dagegen sagen mochte, keine Brillantine
benötigte. Die knorrigen Beine, der davon sichtbare Teil, sträubten, um nicht
zu sagen, pfeilten senkrecht von der Oberfläche der Haut ihre Haare empor, schwarz
auch diese, aufgeladen mit Elektrizität: wie Hochspannungssplitter eines Newtonschen
oder Co-lombianischen Kraftfeldes. Mit noch geschlossenen Augen, oder fast geschlossenen,
schloff er in die Pantoffeln: die auf ihn zu warten schienen wie zwei (zusammengerollte)
Tierchen auf dem Parkett: auf seine Füße warteten, jeder auf den seinigen. Er
streckte sich, daß er aussah wie ein Ringkämpfer, der wieder zur Besinnung kommt,
ließ ein Kettengähnen los, acht- oder neunmal, bis es ihm die immerhin recht
kräftigen Kinnladen auseinandersprengte, beinahe jedenfalls. Beschloß jenes
Gähnen mit einem »Oh-Am!«, das definitiv zu sein schien und es nicht war, weil
er nämlich wieder anfing, und zwar gleich darauf. Tränte links, dann rechts,
langsam, gemächlich, indem er erst ein Auge und dann das andere auf die aufeinanderfolgenden
Gähner preßte wie die zwei Hälften einer Zitrone, die der Austernverkäufer hintereinander
benützt. Er vergönnte sich ein kleines Kopfgekratze, jeweils drei Schaber im
Okziput-Dschungel, tschin-tschin-tschin, wie ein Affe und mit dem automatischen
Gehabe des Schlafwandlers ging er in Richtung »Bad«. Hier gelandet, und die
Tür mittels Riegelchen versperrt, konnte er sich endlich auf radikale und pressante
Weise jenes Gefühls des trop-plein entledigen, das jede noch so elastische und
jugendliche Blase ihrem Eigentümer morgendlich beim plötzlichen Erwachen
kundtut. - Carlo Emilio Gadda, Die gräßliche Bescherung
in der Via Merulana. München 1988
Aufstehen (6)
- N. N.
Aufstehen (7) Das Mädchen
stand auf. Sie erhob sich langsam und anmutig, ohne jeden Kraftaufwand.
Harris starrte sie mit offenem Mund an. Wie biegsam sie war! In einer
gleitenden einzigen Bewegung kam sie auf die Füße! Er blinzelte. Ohne
irgendeine Anstrengung hatte sie sich erhoben, scheinbar ohne irgendeine
Veränderung. Plötzlich stand sie vor ihm, statt zu sitzen, stand
da und sah ihn ruhig mit ihrem kleinen, ausdruckslosen Gesicht
an. - Philip K. Dick, Pfeifer im Wald. In: P. K. D., Und jenseits - das Wobb. Zürich 1998
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