Dufheizen   Irgendwelche neuen Enzyme, irgendwelche Kurzschlüsse in ihrem Organismus bewirkten, daß sie die von ihnen aufgenommenen energieliefernden Nahrungsstoffe schneller verbrannten, als es notwendig war. Die überschüssige Energie, die also durch die Aktivität dieser Tiere nicht aufgebraucht wurde, verwandelte sich notgedrungen in Wärme und begann, ihre Körper aufzuheizen.

An diesem Beispiel kann man den willkürlichen, ungerichteten Charakter jeder Mutation wieder sehr gut erkennen, also die Natur des Materials, auf das die Evolution für ihre Erfindungen angewiesen ist. Eine überschießende Verbrennung von Nahrung, das ist zunächst einmal selbstverständlich eine äußerst unrationelle Angelegenheit. Es sieht ganz nach einer »negativen Mutation« mit nachteiliger Wirkung (einer Verringerung der Überlebenschancen) aus. Wir werden sicher auch annehmen können, daß diese und ähnliche Mutationen schon vorher immer wieder einmal aufgetreten sind, von der Selektion aber als nachteilig ausgelesen worden waren. In der Praxis hatte sich das dann so abgespielt, daß die Individuen, an denen die Mutationen aufgetreten war, durch ihren erhöhten Nahrungsbedarf ihren Konkurrenten gegenüber so sehr ins Hintertreffen gerieten, daß sie bei der Vermehrung und Aufzucht ihres Nachwuchses weniger erfolgreich waren. Aus diesem Grunde muß die neue Variante dann immer schon wenige Generationen später wieder ausgestorben gewesen sein. Aber ob eine Mutation als vorteilhaft oder nachteilig zu beurteilen ist, ob sie dem betreffenden Individuum nützt oder schadet, das wird letzten Endes eben von der Umwelt entschieden. Und die zunächst, bei früheren Gelegenheiten, so unsinnig erscheinende übermäßige Verbrennung von Nahrungsstoffen brachte, wenn noch einige andere Umstände hinzukamen, in den Revieren der Saurier und der vielen anderen Reptilien mit einem Male einen sensationellen Vorteil mit sich. Die aus ihr resultierende Aufheizung des Organismus hob nämlich die nächtliche Kältestarre auf, der alles andere Leben seit undenklichen Zeiten unentrinnbar unterworfen gewesen war. Was das bedeutete, ist nicht schwer zu erraten.

Wohl jeder von uns hat schon einmal darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, wenn die ganze Welt in Erstarrung verfiele, wenn gewissermaßen die Zeit stehenbliebe und nur er allein noch wach und beweglich wäre. Man kann sich dann ausmalen, daß alle Straßen und Häuser voller »lebender Bilder« ständen: Menschen, die in der Pose erstarrt sind, in denen der Schlaf sie gerade überfiel, wehr- und ahnungslos unseren neugierigen Blicken ausgesetzt. Wie tief solche Phantasien in unserem Bewußtsein wurzeln, verrät die Tatsache, daß wir ihnen in Märchen und Mythen immer wieder begegnen. Für die ersten Warmblüter der Erdgeschichte wurde diese märchenhafte Situation damals plötzlich zur Wirklichkeit. Es waren, wie wir heute annehmen, winzige, mausähnliche Nager. Der Berliner Paläontologe Walter Kühne siebte ihre millimetergroßen Zähnchen kürzlich mit Engelsgeduld aus Tonnen von Wüstensand, in dem sie zwischen lauter Saurierknochen lagen und bislang ihrer Winzigkeit wegen einfach übersehen worden waren.

Diesen Knirpsen erschloß sich infolge der durch Mutation entstandenen Panne, die ihren Stoffwechsel betroffen hatte, plötzlich eine neue Dimension: die Nacht. Ihre Körperwärme ermöglichte ihnen den Zutritt zu einem dem Leben bis dahin nicht zugänglichen Bereich. Man kann sich anschaulich ausmalen, wie die kleinen Kerle da in mondhellen Nächten um die riesigen, regungslos wie Statuen herumstehenden Reptilien herumgewimmelt sind, die so lange Zeit unangefochten die Erde beherrscht hatten. Damit war es jetzt vorbei.

Ob die ersten warmblütigen Nager am bald darauf erfolgten Aussterben der Saurier wirklich unmittelbar und aktiv beteiligt waren, wissen wir nicht. Denkbar wäre auch das. Niemand hätte sie daran hindern können, die Eier der Reptilien während ihrer nächtlichen Streifzüge als bequem erreichbare Nahrung aufzufressen. Die Saurier selbst am wenigsten. - Hoimar von Ditfurth, Im Anfang war der Wasserstoff. München 1985  (zuerst 1972)

Aufheizen (2)

- Theodor Hosemann

Heizer

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