Aufdecken  Der Körper der armen Frau lag da in einer geradezu schändlichen Stellung, auf dem Rücken, den grauen Wollrock und den weißen Unterrock zurückgeschlagen, fast bis zur Brust hinauf: so, als ob jemand den zarten Zauber dieser Dessous hätte aufdecken oder auf seine Sauberkeit hätte untersuchen wollen. Sie trug weiße Unterhöschen mit hübschem Trikotmuster, ganz leicht und dünn, auf halbem Schenkel von einem zierlichen Saum gerändert. Zwischen Saum und Strümpfen, die matt und seidig glänzten, entblößt die Blütenweiße des Fleisches, von fast bleichsüchtiger Blässe. Die beiden leichtgeöffneten Schenkel hatten ihren körperwarmen Sinn verloren, fügten sich schon der Eiseskälte: der Kälte des Sarges und der stummen Stätten. Umsonst unterstrich das sich den Blicken dieser Dienstmädchen-Klientel überdeutlich darbietende Maschenwerk das rnüde Angebot einer Wollust, deren Feuer, deren Schauer noch kaum entflohen schienen aus der sanften, weichen Wölbung, jenem Einschnitt, dem Zeichen des fleischlichen Mysteriums . . . das Michelangelo (und Don Ciccio sah dessen Werk aus der San-Lorenzo-Kirche ganz deutlich vor sich) geglaubt hatte, weglassen zu müssen!  Spießige Kleinigkeiten! Reg dich nicht auf!

Die gespannten Strumpfbänder, kaum an den Rändern gerippt, hellgewellt wie Lattichblätter: Strumpfbänder aus lila Seide, in jenem Farbton, der zu duften scheint, waren Augenblicke lang wie das Kennzeichen der zerbrechlichen Lieblichkeit dieser Frau und ihrer Lebensart, der erloschenen Eleganz ihrer Kleidungsstücke, der Gesten, der geheimen Weise ihres Unterworfenseins, verwandelt nun in die Unbeweglichkeit eines Dings oder einer entstellten Puppe. Gespannt die Strümpfe, in goldblonder Eleganz, fast wie eine neue, über die sanfte kreatürliche Wärme sich legende Haut, ihr verliehen von den blasphemischen Schicksalswirkerinnen neuen Lebens: die Strümpfe, umwoben mit ihrem lichten Schleier die Rundung der Beine, der herrlichen Knie - dieser wie zu einer schrecklichen Aufforderung ein wenig gespreizten Beine. Mein Gott, diese Augen! - was, wen blickten sie an? Das Antlitz! ... O Gott, es war zerkratzt, die Ärmste! Bis unters Auge, auf der Nase . . . dieses Gesicht! Wie müde es aussah, wie müde - arme Liliana, dieser Kopf, in der Gloriole der Haare, die ihn umgaben - Fäden, von der Barmherzigkeit gewoben. Scharf geschliffen das Antlitz in seiner Blässe: entleert, ausgehöhlt vom grauenhaften Sog des Todes.

Ein tiefer, ein schrecklicher roter Schnitt hatte ihr grausam die Kehle geöffnet. Er reichte über die Hälfte des Halses, von vorn bis rechts, das heißt bis links von ihr, rechts vom Betrachter aus gesehen; ausgefranst an den beiden Rändern, wie wenn immer von neuem angesetzt worden sei, mit einer Schneide oder Spitze - entsetzlich, gar nicht zum Anschauen! Von innen sah es hervor wie rote Fäden, zwischen dem schwärzlichen Schaum von Blut, schon geronnen, gräßliches Zeug! -mit halb aufgeworfenen Blasen. Komisch geformtes Zeug, schien es dem Polizeibeamten: sah aus wie Löcher, für den Laien, wie Maccheroni, rote oder rosa Maccheroni, »Die Luftröhre«, murmelte Ingravallo, indem er sich niederbeugte, »die Halsschlagader, die Vene . . . mein Gott!«

Der ganze Hals war von Blut verklebt und vorn die Bluse und der Ärmel: die Hand, die mit einer gespenstischen schwarzroten Farbe angemalt, wie von Faiti oder von Cengio. (Arme Mutter! dachte einen Moment lang Don Ciccio, mit einem fernen Klageton in der Seele). Auf dem Fußboden hatte sich das Blut gestockt, wie auf der Bluse zwischen den beiden Brüsten: auch der Rocksaum war davon gefärbt, der umgebogene Rand des hochgeschlagenen Wollrocks, und die andere Schulter: es sah aus, als müßte es von einem Moment zum anderen trocken und schrumpelig werden, ein klebriges Gerinnsel wie aus einer Blutwurst.

Die Nase und das Gesicht - so hingesunken, ein wenig zur Seite gewendet, wie jemand, der eben einfach nicht mehr kann: dieses Gesicht! Ergeben in den Willen des Todes, darin wie Beleidigungen die Schrammen, die Kratzer: wie wenn dieser Dreckskerl sein Vergnügen daran gefunden hätte, ihr diese Verzierungen beizubringen, dieser Mörder, dieser Unmensch!

Die Augen hatten einen schrecklich starren Blick: auf was starrten sie denn überhaupt? Sie starrten und starrten - es war nicht auszumachen, wohin. Hinüber zur großen Kredenz, auf ihren obersten Rand, oder an die Zimmerdecke?

Die Höschen waren nicht mit Blut beschmiert: sie ließen die zwei Schenkelstücke unbedeckt, wie zwei Hautringe, bis zu den Strümpfen, den goldschimmernden. Die Furche ihres Geschlechts , . . er kam sich vor wie im Sommer in Ostia oder in Porte dei Marmi bei Viareggio, wenn sie auf dem Sand herumliegen und sich aalen und einem alles zeigen, was dran ist, bei diesen verdammt eng anliegenden Badeanzügen heutzutage.   - Carlo Emilio Gadda, Die gräßliche Bescherung in der Via Merulana. München 1988

 

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