Attraktor, Seltsamer   Nach einer Störung wird der Bach immer wieder zum grundsätzlich gleichen Schwingungsmuster zurückkehren, in die gleiche Art von Wirbel, selbst wenn man einen Stein hineinwirft, um alles durcheinanderzubringen.

Erscheint nicht diese Beschreibung nahezu paradox? Bei kleiner Geschwindigkeit soll die Bewegung durch einen Punktattraktor richtig beschrieben sein, aber wenn die Geschwindigkeit größer wird, soll es sich auf einmal um einen Grenzzykelattraktor handeln. Dann muß doch irgendwo .ein kritischer Punkt existieren, an dem die Beschreibung des Strömungsverhaltens schlagartig von der einen Sorte von Attraktor zur anderen umspringt. Diesen kritischen Instabilitätspunkt nennt man heute die Hopf-Instabilität.

Hopf ging aber weiter und schlug eine ganze Serie weiterer Instabilitäten vor. Die erste Instabilität besteht im Sprung vom punktförmigen Attraktor zum Grenzzykel. Darauf folgt ein plötzlicher Übergang zu einem tprusTörmigen Attraktor (einem ringförmigen Gebilde in drei Dimensionen), dann zu einem Torus in vier, fünf, sechs und immer mehr und mehr Dimensionen.^

Das Bild von Hopf und Landau ist intuitiv einleuchtend: Man erinnert sich an Leonardos Zeichnungen der Wirbel innerhalb anderer Wirbel. Bei Experimenten konnte man jedoch die höherdimensionalen Toren, die dieses Modell vorhersagt, nicht bestätigen. Die Beobachtungen an verschiedenen Systemen deuten vielmehr darauf hin, daß zwar anfangs der Übergang von der geordneten zur ungeordneten Strömung so abläuft, wie Landau und Hopf es beschrieben haben, daß jedoch das System alsbald einen noch erstaunlicheren Weg zum Chaos wählt.

Im Jahre 1982 wurde ein sorgfältiges Experiment zur Instabilität in Konvektionsströmen ausgeführt, die entstehen, wenn warme Luft in der Wüste aufsteigt oder wenn heißes Wasser vom Boden eines Topfes m Strudeln nach oben wallt. Bei der Untersuchung dieser besonderen Instabili-tätj die man die B enard-Instabilität nennt, fanden die Forscher, daß die Turbulenz viel rascher einsetzte, als Hopfs Hypothese nahegelegt hätte.

Der Physiker David Ruelle vom Institut des Hautes Études Scientifiques m Frankreich schuf unter Mitarbeit von Floris Takens eine neue Theorie für diesen schnelleren Übergang ins Chaos.

Ruelle, der als erster dem Attraktor der Turbulenz und des Chaos den Beinamen »seltsam« verlieh, stimmt mit Landau und Hopf darin überein, daß bei der Konvektion die glatte, Strömung zunächst einer ersten Schwingung Platz macht, wobei also der Punktattraktor in einen Grenzzykel umspringt. Anschließend geht dieser Grenzzykel in die Oberfläche eines Torus über. Ruelle erklärt aber, daß schon bei der dritten Bifurka-tion etwas geradezu Science-fiction-Artiges geschieht. Statt daß das System nun von der zweidimensionalen Oberfläche des Torus auf die dreidimensionale Oberfläche eines im vierdimensionalen Raum eingebetteten Torus überspringt, ist es nun der Torus selbst, der in Stücke zu gehen beginnt! Seine Oberfläche tritt in einen Raum von gebrochener, also nicht ganzzahliger Dimension ein. Anders ausgedrückt, die Oberfläche des Torusattraktors gerät zwischen die Dimensionen einer Ebene (zweidimensional) und eines festen Körpers (dreidimensional).

Um eine Vorstellung davon zu erhalten, was dies bedeutet, betrachte man ein Stück Papier, ein zweidimensionales Objekt.* Zerknittern wir nun das Papier. Je dichter es dabei zusammengedrückt wird, um so chaotischer werden die Knicke und Falten sein, und die zweidimensionale Oberfläche gerät dabei immer näher daran, zu einem dreidimensionalen Festkörper zu werden. Die Benard-Konvektion verhält sich wie das zerknitterte Papier oder wie eine Phantasiegestalt aus der Science-fiction, der es nicht gelingt, sich für eine von verschiedenen Welten zu entscheiden. In einem verzweifelten Versuch, durch angestrengtes Zappeln in eine höhere Dimension zu entwischen oder in eine niedrigere zurückzukehren, gerät die Strömung in ihrer Unentschiedenheit zwischen den beiden Dimensionen auf unendliche Seitenwege. Und dabei wird sie »zerknittert«. Die Dimension, in der diese »Unschlüssigkeit« wohnt, ist deshalb keine ganzzahlige Dimension (also nicht zwei- oder dreidimensional), sondern eine gebrochene Dimension. Und die von solcher Unschlüssigkeit zurückgelassene Spur ist ein seltsamer Attraktor.

* Natürlich ist das Stück Papier in Wirklichkeit dreidimensional, wobei es in der einen Dimension sehr dünn ist. Dennoch vermittelt es näherungsweise recht gut die Vorstellung einer mathematischen Ebene.

 - John Briggs, F. David Peat, Die Entdeckung des Chaos. Eine Reise durch die Chaos-Theorie. München 1990

Attraktor

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