theist   Das, was ihm die echtesten Töne entlockte, kam von weiter her als von der fatalen Mobilmachung des Jahres 1915 - es kam aus dem schwarzen Reich der christlichen, und vor allem römisch-katholischen Religion. Es war für ihn eine Ungehörigkeit, daß die deutsche und französische Romantik - und sogar Baudelaire - so weitgehend der Trinitätsmystik unterworfen war. Und noch schlimmer, daß Apollinaire sich poetisch mit Jesus hatte beschäftigen können, indem er ihn den "Rekordhalter der Flughöhe" nannte. All das, was in der Poesie Priestertum andeutete, genügte schon, um sie zu verfälschen. Kurz - die Religion und besonders diejenige, die in Europa entstanden war, fand er zum Kotzen. Sein Haß auf das Schwarze ließ ihn vor Zorn rot anlaufen und diese beiden Farben gehörten bei ihm so unbedingt zusammen, daß eine Revolution, die nicht von der Notwendigkeit geleitet worden wäre, "die religiöse Schande niederzuschlagen", ihm sofort verdächtig erschienen wäre. Jeder, der ihm ich weiß nicht welchen evangelischen Populismus entgegenhielt, wie man ihn sowohl bei den Pazifisten und den Anarchisten als auch bei den Opportunisten finden kann, wurde schonungslos hart abgewiesen. Der auf diesem Gebiet von Péret beanspruchte Atheismus hatte seine Formulierung bei Sade gefunden, zweifellos aber hatte ihn eine ganz persönliche Erfahrung in dieser Hinsicht derart unnachgiebig gemacht, daß er in einem Punkt verwundbar zu sein schien, der ihn vollkommen außer Fassung brachte.

Selbstverständlich fand Péret in diesen Jahren (ich spreche immer noch von den Jahren 1923 bis 1926) in uns allen Gesinnungsgenossen, die wenig Neigung hatten, einen Ausgleich zu finden. Was aber nichts daran änderte, daß es nicht leicht war, auf derselben antiklerikalen Ebene wie er zu bleiben. Welches Trauma, welche Verwundung mochten ihn schon in der Kindheit so aufgebracht haben? Davon erfuhren wir nie etwas. Er sprach nie darüber, kein einziges Mal hat er vom eigenen Bewußtwerden gesprochen. Tatsache ist aber, daß es unmöglich war, in seiner Anwesenheit über dieses Thema zu scherzen. Die Religion rief in ihm nur ein Gefühl der tragischen Verzweiflung hervor, das blitzartig in heftigen Verwünschungen zum Ausdruck kam, von denen es so viele berühmte Beispiele in seinen Gedichten gibt. Als einige von uns einmal in der Nähe von Rouen zum Abendessen an das Seine-Ufer gegangen waren und sich auf jede erdenkliche Art austobten, machte ich mich daran, Péret davon zu überzeugen, daß man dem Teufel ins Gesicht sehen können müsse, wenn man ihn entwaffnen wolle. Dabei schlug ich ein Kreuz über ihn, wie man so sagt. Der blaß gewordene Péret sprang auf, rief "Nein!", stürzte hinaus und verschwand dem Ruß entlang in die Nacht hinein. Einige von uns gingen sofort auf die Suche nach ihm, aber ohne Erfolg. Besorgt forderte mich Breton auf, diese Art Experiment zu unterlassen. Alle kamen überein, daß Péret nur selbst ohne Schaden diesem Zank mit der Hölle entkommen könne und daß es ratsam sei, ohne Angst auf seine Rückkehr zu warten. Wir sahen ihn am folgenden Morgen wieder: er sagte kein Wort, hatte aber wieder seine übliche, schneidend fröhliche Stimmung. Ich hatte später mehrmals die Gelegenheit zu überprüfen, daß sein Abscheu unversehrt geblieben war, als er zum Beispiel höhnisch über d'Holbach grinste, über den ich ein Buch veröffentlicht hatte und der für ihn im Vergleich zu Marquis de Sade nur ein pedantisch blasses Abbild war.

Es erübrigt sich zu sagen, daß Péret sich durch seinen ständigen Antiklerikalismus den hartnäckigsten Ausschluß all derer zuzog, die die guten Absichten ehren, sowie andererseits das Gespött oder das Schweigen der Duldsamen. Er ließ alles geschehen - oder nicht geschehen: vor allem blieb er sich selbst treu. - Pierre Naville, Nachwort zu: Benjamin Péret, Die Schande der Dichter. Prosa, Lyrik, Briefe. Hamburg 1985 (Edition Nautilus)

Atheist (2)  »Ich glaube an die Seele!« rief Salomon. »Wenn man mich kastriert«, sagte Eisenbeißer, »und ich bekomme eine plapperhafte, schmierige und kreischende Seele, welches wird die Seele sein, die in den Himmel kommt, die erste oder die zweite?«

»Keine Ahnung. Es lebe die Seele!«

»O Gelehrter, erkläre, was die Seele ist?«

»Wie ein Flügel«, sagte Salomon.

»Nun, ich sage dir, daß es die Angst vor dem Sterben ist. Man will, daß etwas zurückbleibt! Finde heraus, wo sie wohnt! (Er blies und machte pfu pfu.) Das ist die Seele.«

»Ich brauche Gott«, sagte Salomon.

»Das ist kein Grund, daß es ihn gibt«, sagte Eisenbeißer. (Wenn er in fröhlicher Gesellschaft war, machte es ihm einigen Spaß, Atheist zu sein.) - (eisen)

Atheist (3) Der Atheist in seiner Wüste   Der Leugner einer lebendigen Gottheit muß, da er unmittelbar bloß mit den Wesen seines Innern umgehen kann, sobald ihm das höchste darunter unsichtbar geworden, in einem starren toten All dastehen, eingekerkert in die kalte, graue, taube, blinde, stumme, eiserne Notwendigkeit; und wahrhaft ist für ihn nichts mehr rege und lebendig als sein flüchtiges Ich. So steht, wie er, der Wanderer auf dem Eismeere und den Eisbergen der Schweiz, rundum Stille - nirgends ein Wesen, das sich bewegt - alles starrt unabsehlich weit hinaus - nur höchstens zieht zuweilen ein dünnes Wölkchen hinauf und scheint sich zu regen in der unermeßlichen Unbeweglichkeit. Ja, wenn er Gott verloren aus seinem Glauben und vollends noch dazu in Unglück und Sünde zugleich geraten ist: so gleicht seine Einsamkeit jenem andern, fast der bloßen Vorstellung zu schmerzhaften Alleinsein eines in seiner Holzhütte zur Hinrichtung angeketteten Brandstifters, welchen Holzhaufen immer höher und breiter umbauen und einschlichten und der nun in der Hütte ganz einsam das Heranbrennen zum Sterben an der Kette erwartet. - Jean Paul, Der Komet oder Nikolaus Marggraf. Eine komische Geschichte. Zürich 2002 (entst. ca. 1820-25)
 
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