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Arthasâstra
des Kautilîya
Asket (2) Heute bin ich ein Asket meiner eigenen Religion. Eine Tasse Kaffee, eine Zigarette, und meine Träume sind ein vorzüglicher Ersatz für Universum und Sterne, Arbeit, Liebe, ja selbst Schönheit und Ruhm. Ich brauche so gut wie keine Stimulanzien. Opium habe ich in der Seele.
Was für Träume ich habe? Ich weiß es nicht. Ich habe mich gezwungen, an einen
Punkt zu gelangen, an dem ich nicht mehr weiß, woran ich denke, wovon ich träume,
was ich schaue. Mir scheint, ich träume aus immer weiterer Ferne und zunehmend
das Unbestimmte, das Ungenaue, das Nichtschaubare. -
Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Zürich
2003
Asket (3) Der Mönch hatte einen kleinen Sohn, der
schon ein großer Asket und von verzehrender Glut erfüllt war. Er hieß Schringin,
war furchtbar in seinem Zorn, schwer zu besänftigen und streng in seinen Gelübden.
Völlig leidenschaftslos nahte er sich von Zeit zu Zeit huldigend Brahman, dem
Gott, der über allem thront und seine Freude an dem hat,was allen Wesen frommt.
Brahman hatte ihn entlassen, und als er auf dem Heimweg war, redete lachend
sein Freund Krischa, welcher dort spielte, indem er auf Schringins Vater wies,
Worte zu ihm, die seinen Zorn entflammten. Krischa sagte: »Verzehrende Glut
lodert in dir; dein Vater aber trägt auf seiner Schulter ein Aas.
Werde nur nicht stolz darüber, Schringin! Wenn sich die Söhne der Asketen unterhalten,
dann schweig hübsch still! Wie passen deine Einbildung, du seist ein ganzer
Mann, und deine ihr entsprechenden stolzgeborenen Reden zum Anblick, den dein
Vater dir bietet, welcher ein Aas trägt? Was dein Vater da tut, scheint mir
doch seiner nicht ganz würdig zu sein, hochedler Asket; du tust mir herzlich
leid!«
Als der gluterfüllte und zum Zorne neigende Schringin diese Worte hörte, als er vernahm, daß sein Vater eine Leiche trug, kochte er vor Wut. Er sah Krischa an und fragte ihn höflich: »Wie kommt's, daß mein Vater das Aas trägt?« Krischa sagte: »König Parlkschit, mein Lieber, streifte heute auf der Jagd umher und warf deinem Vater eine tote Schlange auf die Schulter.« Schringin fragte weiter: »Was hat mein Vater diesem üblen König zuleide getan? Sag mir die Wahrheit, Krischa; dann werde ich dir zeigen, welch mächtige Glut in mir loht!« Krischa antwortete: »König Parikschit, Abhimanjus Sohn, war auf die Jagd gegangen und verfolgte ganz allein eine schnellfüßige Antilope, die er mit seinem Pfeile angeschossen hatte. Soviel er aber auch in diesem großen Walde umherspürte, er vermochte das Wild nicht zu entdecken. Er sah deinen Vater und fragte ihn, erhielt aber keine Antwort. Da warf ihm der König mit dem Bogenende die Schlänge auf die Schulter. Dein Vater, Schringin, denkt nur an sein Gelübde und sitzt genau so dort wie vorher. Der König aber ist in seine Hauptstadt Hastinapura zurückgekehrt.«
Als des Asketen Sohn vernommen hatte, wie die Schlange auf seines
Vaters Schulter gekommen war, röteten steh seine Augen vor Zorn, seine
Wut schlug zu hellen Flammen empor, und von Grimm überwältigt, fluchte
er dem König:
»Den sündigen König, welcher meinem alten, sich kasteienden
Vater die tote Schlange auf die Schulter geworfen hat, diesen Elenden
soll nach Ablauf von sieben Nächten der zornwütende Schlangenkönig
Taksdiaka in Jamas Haus entführen!« - Indische Märchen. Hg. und Übs. Johannes Hertel. München 1953 (Diederichs, Märchen der
Weltliteratur)
Asket (3) Als guter Asket, der ich immer war, habe
ich in meinem Leben alles getan, um der Gnade nachzuhelfen. Ich habe es fertiggebracht,
mich für fünf Monate hintereinander nach da unten zurückzuziehen,
allein, neben dem Feuer, ohne Bücher, übrigens auch ohne die Lust, welche zu
lesen, ohne jemanden zu sehen, ohne mit jemandem zu reden ... Es ist sinnlos
mit den «ohne» fortzufahren, weil es niemanden gibt, der verstehen oder auch
nur ahnen könnte, was ein solches Leben bedeutet. Ich bemühte mich, so die besten
Voraussetzungen zu schaffen, mich in die besten Umstände zu versetzen, um mich
ergreifen zu lassen; ich bemühte mich, rein, leer,
frei zu werden, bereit für jede Befruchtung, ich war der wahre Ana-choret, mir
fehlte nur irgendeine vorgefaßte Meinung, irgendein kleiner spezieller Wille,
damit ich ein Heiliger wäre, in gewisser Hinsicht war ich also mehr als ein
Heiliger. Und was konnte ich dank all dessen entdecken? Nichts, außer meiner
absoluten Gleichgültigkeit. Wenn es mir gelang, meine Seele leer werden zu lassen,
ja, dann kam es vor, daß sie ruhig wurde, wie etwas, das in seinen natürlichen
Zustand, in seine natürliche Reglosigkeit zurückgeführt wird; je mehr und je
besser ich mich auf die Gnade vorbereitete, desto weiter entfernte sie sich,
wurde unwahrscheinlich, unmöglich; und nie kam bei mir das geringste Bedürfnis
oder auch nur der Gedanke auf, jemandem etwas mitzuteilen, etwas in anderen
oder in mir zu erwecken oder wiederzuerwecken, etwas Ausdruck zu verleihen (da
sind wir wieder!) etc. Im übrigen, wem oder was Ausdruck verleihen? War ich
nicht leer, und hatte ich mir diesen Zustand nicht noch vollkommener gewünscht?
Und wie, mit welchem Recht oder kraft welcher Illusion hoffte ich, daß sich
diese Leere belebe, sich mit Formen und mit Freude bevölkere, mit Qualen, mit
allem? . . . Ach nein, die Gnade wird demjenigen geschenkt, der sie bereits
besitzt; vielleicht habe ich das schon gesagt, aber ich wiederhole es, die Gnade
verdient der, der sie bereits hat, das ist so, auf verkehrte und monströse Weise.
Und das wat nicht der Weg, auf dem ich mir meine Illusionen hätte fabrizieren
können, meine Hirngespinste, literarisch so notwendig wie das Brot zum Leben,
vielmehr würde ich mich immer, vielleicht auch noch nach meinem Tod, so fortschleppen
müssen, mit Vogelleim beschmiert, verstrickt in eine zweideutige Realität, das
akzeptierend, woran ich nicht glaubte, von düsteren Hirngespinsten ausgehend,
um im «geschlossenen Stromkreis» wieder zu ihnen zurückzukehren, also ohne daß
mir von diesen unvermeidlichen Hirngespinsten ein Zeichen käme, eine Hoffnung
auf Adel oder das Unterpfand eines anderen Ursprungs, eine Würde. Und so schleppe
ich mich kläglich in dieser dunklen Verdammnis dahin, krieche geifernd, Blut
vergießend (das nicht das meine ist), wie einer, der zu verwerflich ist, um
glücklich zu sein, dessen Leiden, dessen Krankheit zu abstoßend sind, als daß
er hoffen könnte, Gnade zu finden, nicht einmal vor seinem Schöpfer, vor dem,
der sie ihm aufgebürdet hat. Ja, auch Gott ist,
wie ich vermute, Poet, und zwar ein unverantwortlicher
Poet: Es kümmert ihn wenig, daß etwas sein Werk ist; wenn dieses zu abgeschmackt,
zu grob, zu kläglich wirkt, lehnt er es ab; es ist ihm eben mißraten, das ist
kein Grund, weshalb er sich darum kümmern müßte. -
(land3)
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