Freilich gibt es neuerdings eine Geschichte und eine Anthropologie
der Speisen, aber was ich auf den Plan rufe, ist eine Psychotheologie
der Speisen, zu der Engel, Träume, Depressionen, Literatur und Liebe gehören
und die uns gewissermaßen auf einer makellosen, weiten, ewigen Tafel die Milchstraße
selbst auftischt — nicht zufällig hat sie einen gastronomischen Namen, der uns
von zu lauter kleinen Sternenpuddings geklumpter Milch erzählt. Ich glaube,
auf irgendeine Weise zieht es uns immer zu irgendeiner Speise hin, und selbst
nachts, wenn wir uns in traumträchtigen Schlaf versunken wähnen, unterhalten
schattenhafte Elfen insgeheim unser schwächliches Leben mit Leckerbissen, an
deren Geschmack wir uns nicht ohne Staunen beim Erwachen erinnern. Auf diese
Weise nehmen wir ahnungslos Tag und Nacht dieses wundervolle Gegengift gegen
den Tod zu uns und, indem wir Soßen, Ravioli, Gemüse und Sorbets ins Feld führen
wie ein Fechter seinen Degen, halten wir uns jenes Bild vom Leib, dessen dürre
und unterernährte Gestalt in keinem Teil des Kosmos ihresgleichen findet. Ein
gutes Argument zugunsten der Wiedergeburt ist das natürliche Verlangen alles
einst Lebenden wiederzukehren, um aufs neue dem Speisenzauber zu frönen, und
es kann sein, daß unsere Unsterblichkeit, außer von unseren richtigen Antworten
beim jenseitigen Quiz, auch davon abhängt, ob wir einst eine Ente mit Orangen,
ein zartes Fasanenweibchen oder ein wenig herbe flambierte Nierchen gegessen
haben. Zu den Unannehmlichkeiten des mittelalterlichen Paradieses soll angeblich
der Mangel an Privacy gehört haben; ich wage hinzuzufügen, daß die Entbehrung
eines sommerlichen Bieres, das kühl über die Autobahn unserer Gurgel hinunterzischt,
keine geringere Unannehmlichkeit darstellt. - Giorgio Manganelli,
Manganelli furioso. Handbuch für unnütze Leidenschaften. Berlin 1985
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