roma
In Berlin hatte er sich eine deutsche Zeitung gekauft, doch in dieser
Fremdsprache fehlte den Nachrichten die Würze. In jiddischer
Sprache schien jede Lokalnachricht ihr eigenes Aroma zu haben: Ein Schuhmacher
hatte ein Lotterielos gekauft, mit dem er - hätte er es nicht als Klosettpapier
benützt - fünfundsiebzigtausend Rubel gewonnen hätte; in Australien war ein
Schiff mit dreihundert Bräuten angekommen, alle von ihren Bräutigamen
nach Photographien ausgewählt. Max nahm einen großen Schluck Kaffee. »Dreihundert
Mädchen! Zum Teufel mit ihren verflixten kleinen Bauchnabeln! Das würde mir
gefallen - ein Schiff mit lebendiger Ware!«
- Isaac B. Singer: Max, der Schlawiner. Berlin 2011
Aroma (2) Die Stimme des Alten sackte ab. Er nickte ein paarmal und nippte seinen Tee.
Richter Di sagte zaghaft: «Ich interessiere mich sehr dafür, wie Gouverneur Sin hier in Lan-fang gelebt hat.»
Der Greis schien ihn nicht gehört zu haben. Er fuhr fort, an seinem Tee zu nippen.
Auch der Richter hatte die Tasse an seine Lippen geführt. Nach dem ersten Schluck wußte er, daß dies der herrlichste Tee war, den er je gekostet hatte. Das Aroma schien seinen ganzen Körper zu erfüllen.
Plötzlich äußerte sein Gastgeber: «Das Wasser kommt von der Stelle,
an der der Bach den Felsen hinunterfällt. Gestern abend habe ich die Teeblätter
in die Knospe einer Chrysantheme gelegt. Als die Knospe heute morgen in der
Sonne aufging, habe ich die Blätter herausgenommen. Sie sind gesättigt mit duftendem
Morgentau.» -
Robert van Gulik, Mord im Labyrinth. Zürich 1985
Aroma (3) Miss Carridges Tag hatte einen Kern, die gute, starke Tasse Tee, die sie nachmittags trank. Es kam manchmal vor, daß sie sich mit der Überzeugung zum Genuß des Elixiers hinsetzte, nichts von dem, was sich lohnt, unterlassen, und nichts von dem, was sich nicht lohnt, getan zu haben. Dann war sie imstande, eine Tasse für Celia einzuschenken und sie auf Zehenspitzen die Treppe hinaufzubringen. Miss Carridges Methode, eine Privatwohnung zu betreten, bestand darin, erst zaghaft draußen an die Tür zu klopfen, wenn sie sie schon von drinnen geschlossen hatte. Nicht einmal eine gute, heiße Tasse Tee in ihrer Hand vermochte es, sie den hierbei üblichen Bedingungen von Zeit und Raum zu unterwerfen. Es war so, als ob sie einen Komplicen hätte.
«Ich habe Ihnen eine...» sagte sie.
«Herein», sagte Celia.
«Schöne, heiße Tasse Tee gebracht», sagte Miss Car-ridge. «Trinken Sie ihn, bevor er gerinnt.»
Aber Miss Carridge strömte einen Geruch aus, an den sich sogar ihre nächsten und teuersten Angehörigen nicht gewöhnt hatten. Da stand sie, übelriechend und hingerissen von der Betrachtung ihres Tees, der getrunken wurde. Es war dabei eine Ironie, daß Miss Carridge ihren Atem ganz unnötigerweise beim Anblick der Tee trinkenden Celia anhielt, während Celia ihren wegen des Geruchs der über ihr stehenden Miss Carridge nicht anhalten konnte.
«Hoffentlich mögen Sie das Aroma», sagte Miss Carridge. «Extra feiner Lapsang Souchong.»
Sie zog mit der leeren Tasse von dannen und Celia schnappte nach dem wohlriechenden Duft ihres Busens. Es sollte sich erweisen, daß sie gut daran getan hatte, da Miss Carridge auf ihrem Weg zur Tür haltmachte.
«Hören Sie», sagte sie, nach oben zeigend.
Es war ein weiches Hin- und Hertippeln zu hören. «Der alte Kerl», sagte Miss
Carridge. «Nie ruhig.» Glücklicherweise war Miss Carridge ein wortkarges Weib.
Wenn Körpergeruch und Zungenfertigkeit zusammentreffen, gibt es keine Rettung.
- (mur)
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