rmut
ARMUT SCHÄNDET NICHT. Eine Antiphrase. Würden Sie mir
sagen, mein gütiger Hausbesitzer, was Schande oder Verbrechen
sein kann, wenn nicht Armut?
Ich glaube, ich habe es andernorts bereits ausführlich gesagt: Die Armut ist die einzige Schande, die alleinige Sünde, die ausschließliche Verworfenheit, die unverzeihliche und ganz besondere Pflichtvergessenheit. In ebendiesem Sinne versteht ihr sie doch, nicht wahr, ihr hochwohllöbliches Lumpenpack, das über die Welt zu Gericht sitzt?
Und mag man es auch wieder und wieder beteuern: Die Armut ist doch so infam, daß es der letzte Exzeß von Zynismus, der schrillste Aufschrei eines verzweifelten Bewußtseins wäre, sie einzugestehen, und keine Strafe vermöchte sie zu sühnen.
Es ist die Pflicht des Menschen, reich zu sein, so sehr, daß die Existenz
eines einzigen Armen zum Himmel schreit wie die Verderbnis Sodoms und Gott selbst
bloßstellt, indem sie ihn zwingt, Fleisch zu werden und anstößigerweise auf
Erden zu wandeln, gekleidet einzig in die Lumpen seiner Prophezeiungen. -
(
bloy
)
Armut (2) Die Armen, das ist bekannt,
pflegen vor allem in den milden Jahreszeiten ihre Fenster nicht zu schließen,
wenn sie sich an- oder auskleiden; deshalb sah man von Giovancarlos Dachboden
aus wirklich alles nur Vorstellbare. Einmal war es eine hinfällige Alte, die,
bevor sie unter die Bettdecke schlüpfte, das Nachthemd vor ihrem häßlichen Bauch
ausspannte und in die Höhe hielt, um beim Licht einer rauchigen Laterne aufmerksam
seine Innenseite zu mustern. Darauf schob sie sachte eine Hand vor, drückte
mit einem schnellen Reflex Daumen und Zeigefinger
aufeinander, ließ die Laus fallen und zermalmte sie unter
dem Pantoffel. Das ging lange so. Ein andermal war es ein junges Mägdelein,
noch nicht flügge, das all seine Kleider hinwarf und sich, während es herumhantierte,
unablässig mit einer Hand am Bauch kratzte; dann wieder eine Frau, die sich
ebenfalls - beim Warten auf den Ehemann und schon
für ihn bereit — den Kopf kratzte und gähnend am Fenster
saß.
-
Tommaso Landolfi, Der Mondstein. Zürich 1995 (zuerst 1972)
Armut (3) Wenn
ein Mann auf Bettelei angewiesen ist, wirft es ihn in eisiges Wasser. Er schreibt
auf dem eisigen Wasser. Als Spiegel wirft es seine Schriftzüge hundertfach zurück.
Sie werden zarte Haare auf der Haut, Adern in Marmor. Sein Gesicht ist rein.
Es hat die Farbe kühler Jade. Er ißt eine Wassermelone, bewegt sich unter armen
Menschen, sitzt vor der abgebrannten Asche eines Feuers. Ein einsames Licht
in kalter Nacht führt ihn zu einem abgelegenen Dorf. Es ist verlassen, leer
wie ein höflicher Gruß, niedrig wie das Thermometer, klamm wie ein vergessener
Eid. Eine Zikade wird stumm in der Kälte. Ein Mann, der seinen Mund halten kann.
- (
liu
)
Armut (4) Armut
ist zu vil dingen gut. Paupertas artes excitat.
Armut leert alle künst.
Arm leut müssen viel anfahen/
biß sie sich erneren.
Armut ist listig/ sie fahet auch einn fuchs.
Armut
ist sinnreich/ und sihet weit umbsich/ gedenkt und sucht vil list und weg/
wie sie aus not auch brot hab/ sie findt erdenckt alle künst. Darum der
hunger bey den Poeten Ingeniosa fames und der bauch und got Venter
bei Persio ein erfinder und angeber aller künst wird genant.
Man sihe, dasz fast allein die armen studiren/ nit aus sonderer andacht
und lieb/ sondern aus höchster not/ darmit sie sich selbst aus dem bettel
in er und wirde setzen. Daher seind die hungerigen und dürren Schwaben
/ und die nüchter Itali und Sarraceni so subtil und hohe künstler in allerley
künsten und nit die vollen matten wein und bierzapffen. Es muß in summa
hunger und armut thun/ voller bauch zeucht und studiert nit gern/ sondern
schlafft vil lieber/ dan daß er nach er und künsten strebt. Dar gegen bleyben
die vollen feygen ungenierten wollüstigen reichen/ gemeinlich ohn verstand/
narren/ die nichts thun dann auf dem polster sitzen/ die becher lehren/
jr register lesen/ oder so sie hurtig seind/ zwen schenkel über die pferdt
schlagen/ und ins dorff die bauren zu schinden/ tag und nacht voll/
von niemand gestrafft. -
(klueg)
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