Armenbegräbnis    Die Toten aus dem Hôtel-Dieu - es spuckt jeden Tag welche aus - werden nach Clamart gebracht. Das ist ein großer, weitläufiger Friedhof, in dem immer ein paar Gräber offenstehen. Die Leichen haben keinen Sarg; sie werden in grobe Sackleinwand eingenäht. Man hat es sehr eilig, sie aus ihren Betten zu reißen. So mancher Kranke, den man allzuschnell totgesagt hatte, erwachte wieder unter den Händen, die ihn voreilig in dieses rauhe Leichtentuch verpacken wollten, und andere schrien, sie seien noch am Leben, als sie schon auf dem Karren, der sie zum Grabe fahren sollte, lagen.

Das Gefährt wird von zwölf Mann geschleppt. Es begleitet sie ein kotbedeckter, ungewaschener Priester, dem ein Glöcklein und ein Kreuz vorangetragen wird; das ist alles, was man den verstorbenen Armen zubilligt. Aber denen kann es egal sein. Jeden Morgen früh um vier fahrt die finstere Fuhre vom Hötel-Dieu los; unheimlich hallt das Rattern ihrer Räder durch die stille Nacht. Das Glöcklein an der Spitze des Zuges schreckt die Leute in den Häusern aus dem Schlaf, doch wirklich kann nur der ermessen, wie einem das Bimmeln und das Rattern durch die Seele geht, der selber an der Strecke wohnt. In Zeiten hoher Sterblichkeit sah man den Karren nicht selten viermal in vierundzwanzig Stunden; vollbeladen faßt er an die fünfzig Tote. Die Kinder bettet man zwischen die Beine der Erwachsenen. Am Ziele angelangt, legt man die Leichen in einen offenen, tiefen, breiten Graben und bestreut sie mit ungelöschtem Kalk, und wer die nimmcrsatte Grube je gesehen hat, den packt die schreckliche Ahnung, daß sie es darauf angelegt -haben könnte, nach und nach die ganze Hauptstadt zu verschlingen.  - Louis Sébastien Mercier, Mein Bild von Paris. Frankfurt am Main 1979 (zuerst ca. 1780)

Begräbnis

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