risierungsverfahren
Vor uns sitzt Doktor Jakob. Unser Zahnarzt aus besseren Tagen. Jetzt ist
er Sternträger und seit drei Monaten bemüht, seine
»jüdischen Großeltern zu taufen«. »Arisierungsverfahren« nennt man den Vorgang, wenn ein Jude
nachzuweisen versucht, daß seine Eltern eigentlich gar nicht
seine Eltern sind. Daß zum mindesten sein Vater ...
Nie zuvor hat es so viele eheliche Fehltritte gegeben. Und so viele
Töchter und Söhne, die bereit sind, einen Seitensprung
ihrer Mutter eidesstattlich zu bezeugen. Hier handelt es sich nicht
um einen Seitensprung, sondern um eine regelrechte
Kindesunterschiebung. Drei aus unserer Clique haben sie vor dem
Notar beschworen. Unter Eid versichert, daß der Zahnarzt Hugo
Jakob weder seinen Eltern noch seinen Geschwistern im mindesten
ähnlich sähe. Eltern und Geschwister sind vor Jahren
nach Palästina ausgewandert. Wer fragt dort schon nach
Ähnlichkeiten! Hier aber fragt man danach. Das
Rassenforschungsamt interessiert sich brennend für
Familienphotos. Für Photos der Familie Jakob. Je mehr, desto
besser. Wir kramen in unseren Schüben. Fördern leidlich
Brauchbares zutage. Geschwister Salomon. Der Bruder tot, die
Schwester zu Beginn des Naziregimes nach Amerika emigriert. Sie
werden uns die erfundene Verwandtschaft nicht übelnehmen. Das
Rassenforschungsamt ist ein wissenschaftliches Institut. Es arbeitet
exakt und gründlich. Dreiundzwanzig Ohrenmessungen. Verhältnis
von Kiefer zu Nase. Von Nase zu Auge, von Haaransatz zu Stirn. Heute
kam der Bescheid: »Das Verfahren wird abgelehnt, da eine
gewisse Familienähnlichkeit zwischen Antragsteller und
Geschwisterphotos unbedingt nachweisbar ist.« - Ruth
Andreas-Friedrich, Der Schattenmann. Tagebuchaufzeichnungen 1938-1945. Notat
vom 13. Februar 1942.
Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1947)
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