rchitektur
Oben wimmelt die Stukkatur der Decke von methodistischen Versionen des
Königreiches Gottes: Löwen schmiegen sich an Lämmer, Früchte plumpsen üppig
und unaufhörlich in die Arme und vor die Füße von Damen und Kavalieren, Schäfern
und Milchmägden. Kein einziger Gesichtsausdruck ist klar getroffen: die sanften
Kreaturen blicken scheel, die wilderen Bestien scheinen unter Drogen und Schlafmitteln
zu stehen, und die menschlichen Wesen vermeiden jeden Augenkontakt untereinander.
Doch die Plafonds sind beileibe nicht die einzigen baulichen Besonderheiten
bei der «Weißen Visitation». Das ganze Gebäude gleicht einem architektonischen
Amoklauf. Die Speisekammer wurde als arabischer Harem en miniature entworfen,
aus Gründen, die wir nur noch vermuten können, voller Seidenstoffe, Gitterwerk
und Gucklöcher. Eine der Bibliotheken diente zeitweise,
nachdem man den Fußboden einen Meter abgesenkt und bis zur Schwellenhöhe mit
Schlamm bedeckt hatte, riesigen gefleckten Gloucester-Säuen als Suhle,
in der sie ihre Possen reißen, oinken, sommers Kühlung finden und sich überlegen
konnten, wonach die steifleinenen Buchrücken auf den Regalen wohl schmecken
würden. Whigsche Exzentrizität ist in diesem Bauwerk zum ungesündesten Extrem
getrieben. Manche Räume sind dreieckig, andere rund oder labyrinthisch vermauert.
Porträts, die wie Fallstudien aus dem genetischen Kuriositätenkabinett aussehen,
gaffen und grinsen einen aus den verschiedensten Blickwinkeln an. In den "WCs
finden sich Fresken von Clive und seinen Elefanten beim Sturm auf die Franzosen
in Pa-lasi, Wasserhähne in Gestalt von Salome mit dem Haupt Johan-nis (das Wasser
sprudelt ihm aus Ohren, Nase, Mund) und Bodenmosaike, die in endlosem Schachbrettmuster
diverse Variationen des Homo Monstrosus repetieren - Zyklopen, Giraffenmenschen,
Zentauren, interessante Lieblingsmotive der Epoche. Überall erstrecken sich
Galerien, Grotten, gipserne Blumenfriese oder Wände, die mit verschlissenem
Samt und Brokat behängt sind. An den unmöglichsten Stellen springen Balkone
hervor, die von grotesken Wasserspeiern überragt werden, deren Fangzähne
nicht wenigen Ortsunkundigen schon üble Kopfwunden geschlagen haben. Selbst
beim ärgsten Wolkenbruch bringen diese Monstren nur ein müdes Sabbern zuwege
- die Regenrohre, die sie speisen, sind seit Jahrhunderten verrottet. Rissig
krakeelen sie über die Schieferpfannen des Daches, unter die Traufe und abwärts,
vorbei an aufschießenden Minaretten, windschiefen, notdürftig gestützten Kaminen,
geborstenen Pilastern, baumelnden Cupidos, terrakottaverblendeten Etagensimsen,
zierlichen Aussichtserkern, bossenummauerten Kanten und pseudoitalienischen
Säulen. Aus der Entfernung sehen keine zwei Beobachter, wie dicht beisammen
sie auch stehen mögen, genau das gleiche Gebäude in dieser Orgie der Selbstdarstellung,
der jeder neue Besitzer Neues hinzugefügt hat, bis zur Requirierung im gegenwärtigen
Krieg. Formbäume säumen die Auffahrt eine Strecke weit, dann übernehmen Lärchen
und Ulmen: Enten, Flaschen, Schnecken, Engel und Steeplechase-Reiter schwinden
die Schotterstraße hinab in braches Schweigen, Schatten unter einem Dach raschelnder
Zweige. Der Wachtposten, eine düstere, weißgegürtete Gestalt, erscheint vor
deinen verdunkelten Scheinwerfern, Gewehr im Arm, und du mußt anhalten. Die
dressierten, tödlich scharfen Hunde beobachten dich aus dem Gehölz. - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei
Hamburg 1981
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