rbeit  Die vergessene, anonyme Sprache aller Menschen wiederfinden, und sie wird erstrahlen in Selbstverständlichkeit (meine Arbeit). - Peter Handke, Das Gewicht der Welt, Frankfurt am Main 1979, zuerst 1977

 Arbeit (2) Und nun schien, mit Hilfe einiger Zeilen, durch die ihm selbst sich ein Sachverhalt geklärt und belebt hatte, wieder solch ein Tag gutgegangen, und der Schriftsteller stand von seinem Tisch auf in dem Gefühl, es könne ruhig Abend werden.  - Peter Handke, Nachmittag eines Schriftstellers. Frankfurt am Main 1989 (st 1668, zuerst 1987)

Arbeit (3)  Johnson hatte am Pembroke College die «Reise nach Abessinien» des portugiesischen Jesuiten Lobo gelesen und äußerte einmal die Ansicht, eine Bearbeitung und Übersetzung aus dem Französischen würde sich lohnen, worauf Warren und Hector ihm zuredeten, diese Arbeit zu übernehmen. Er erklärte sich damit einverstanden, und da das Buch in Birmingham nicht aufzutreiben war, lieh er es sich vom Pembroke College aus. Nachdem ein Teil der Arbeit rasch zu Papier gebracht war, wurde das Vorhandene in Satz gegeben, und Johnson verpflichtete sich, der Setzerei fortlaufend soviel Manuskript als nötig zu liefern; doch nahm seine heillose Trägheit bald überhand, und die Arbeit blieb liegen. Hector sagte sich, ein menschliches Argument würde bei seinem Freund am ehesten verfangen, und setzte Johnson auseinander, der Drucker könne keine andere Arbeit annehmen, bis die angefangene Reisebeschreibung abgesetzt sei; der arme Mann sei Familienvater und leide Not. Das veranlaßte Johnson, sich wenigstens geistig ins Geschirr zu legen, solange er sich nicht körperlich aufzuraffen brauchte. Er lag im Bett, mit dem Originaltext, einem Quartband, vor sich, und diktierte, während Hector nachschrieb. Dieser trug das Manuskript in die Setzerei und las beinahe sämtliche Korrekturabzüge, die Johnson zumeist gar nicht zu Gesicht bekam. So wurde das Buch unter dem tätigen Beistand des Freundes fertig und kam 1735 heraus, wobei als Erscheinungsort London angegeben war, obwohl es in Birmingham erschien — ein Vorgehen, wie es bei Verlegern in der Provinz gang und gäbe war. Für seine Arbeit erhielt er von Warren lediglich die Summe von fünf Guineen.  - (johns)

Arbeit (4)  Die Arbeit, das Zeichnen waren bei Degas zur Leidenschaft geworden, einer strengen Übung, Gegenstand einer Mystik und einer Ethik, die sich selber genügten, zu einem höchsten Anliegen, das jeden andern Belang schlechterdings aufhob, einem Anstoß nie gelöster, genau umrissener Aufgaben, der ihn jeder weiteren Neugierde entband. Er war Spezialist, und wollte es sein, in einem Bereich, der sich bis zu einer gewissen Universalität zu steigern vermag. Mit siebzig Jahren erklärte er Ernest Rouart:

„Man muß eine hohe Meinung haben, nicht sowohl von dem, was man im Augenblick macht, als vielmehr von dem, was man eines Tages wird machen können; ohne das verlohnt es sich nicht, zu arbeiten." Mit siebzig Jahren ...

So spricht der echte Stolz, Gegengift jeder Eitelkeit. Wie der Spieler fieberhaft seinen Partien nachsinnt, nachts vom Gespenst des Schachbretts oder des Spieltisches, auf den die Karten fallen, heimgesucht, von taktischen Kombinationen und ebenso spannenden wie nichtigen Lösungen bedrängt wird, so auch der Künstler, der wesentlich Künstler ist. Ein Mensch, der nicht ständig von einer derart heftig ihn erfüllenden Gegenwart sich belagert fühlt, ist ein Mensch ohne Bestimmung: ein brachliegendes Erdreich.  - (deg)

Arbeit (5) Die Menschen arbeiten gemeinhin allzu viel, um noch sie selbst zu sein. Die Arbeit ist ein Fluch. Doch der Mensch hat diesen Fluch in eine Wollust umgemünzt. Aus allen Kräften und nur um der Arbeit willen arbeiten, sich an der Anstrengung laben, die unweigerlich zu belanglosen Errungenschaften führt, sich vorstellen, dass man sich nur durch objektive und unausgesetzte Arbeit verwirklichen kann, darin liegt das Empörende und Unbegreifliche. Die beharrliche und ununterbrochene Arbeit verblödet, trivialisiert und entpersönlicht. - Cioran, Auf den Gipfeln der Verzweiflung (1934)

Arbeit (6)

Es wird ein Dekret erlassen,
dass, wer sich Schwielen an die Hände schafft,
unter Kuratel gestellt wird,

dass, wer sich krank arbeitet,
kriminalistisch strafbar ist,
dass jeder, der sich rühmt, sein Brot im Schweiße
seines Angesichts zu essen,
für verrückt und der menschlichen Gesellschaft
gefährlich erklärt wird,

und dann legen wir uns in den Schatten
und bitten Gott um Makkaroni,
Melonen und Feigen,
um musikalische Kehlen,
klassische Leiber und eine kommode Religion.

- Georg Büchner, Leonce und Lena

Arbeit (7)  Sich Arbeit suchen um des Lohnes willen - darin sind sich in den Ländern der Zivilisation jetzt fast alle Menschen gleich; ihnen allen ist Arbeit ein Mittel, und nicht selber das Ziel; weshalb sie in der Wahl der Arbeit wenig fein sind, vorausgesetzt dass sie einen reichlichen Gewinn abwirft. Nun gibt es seltnere Menschen, welche lieber zugrunde gehen wollen, als ohne Lust an der Arbeit arbeiten: jene Wählerischen, schwer zu Befriedigenden, denen mit einem reichlichen Gewinn nicht gedient wird, wenn die Arbeit nicht selber der Gewinn aller Gewinne ist. Zu dieser seltenen Gattung von Menschen gehören die Künstler und Kontemplativen aller Art, aber auch schon jene Müßiggänger, die ihr Leben auf der Jagd, auf Reisen oder in Liebeshändeln und Abenteuern zubringen. Alle diese wollen Arbeit und Not, sofern sie mit Lust verbunden ist, und die schwerste, härteste Arbeit, wenn es sein muss. Sonst aber sind sie von einer entschlossenen Trägheit, sei es selbst, dass Verarmung, Unehre, Gefahr der Gesundheit und des Lebens an diese Trägheit geknüpft sein sollte. Sie fürchten die Langeweile nicht so sehr als die Arbeit ohne Lust: ja sie haben viel Langeweile nötig, wenn ihnen ihre Arbeit gelingen soll. Für den Denker und für alle empfindsamen Geister ist Langeweile jene unangenehme »Windstille« der Seele, welche der glücklichen Fahrt und den lustigen Winden vorangeht; er muss sie ertragen, muss ihre Wirkung bei sich abwarten - das gerade ist es, was die geringeren Naturen durchaus nicht von sich erlangen können! Langeweile auf jede Weise von sich scheuchen ist gemein: wie arbeiten ohne Lust gemein ist.  - (frw)

Arbeit (8) Gestern, bei einem nächtlichen Spaziergang durch entlegene Straßen des östlichen Viertels, in dem ich wohne, sah ich ein einsames und finsteres Bild. Ein vergittertes Kellerfenster öffnete dem Blick einen Maschinenraum, in dem ohne jede menschliche Wartung ein ungeheures Schwungrad um die Achse pfiff. Während ein warmer, öliger Dunst von innen heraus durch das Fenster trieb, wurde das Ohr durch den prachtvollen Gang einer sicheren, gesteuerten Energie fasziniert, der sich ganz leise wie auf den Sohlen des Panthers des Sinnes bemächtigte, begleitet von einem feinen Knistern, wie es aus dem schwarzen Fell der Katzen springt, und vom pfeifenden Summen des Stahles in der Luft — dies alles ein wenig einschläfernd und sehr aufreizend zugleich. Und hier empfand ich wieder, was man hinter dem Triebwerk des Flugzeugs empfindet, wenn die Faust den Gashebel nach vorne stößt und das schreckliche Gebrüll der Kraft, die der Erde entfliehen will, sich erhebt; oder wenn man nächtlich sich durch zyklopische Landschaften stürzt, während die glühenden Flammenhauben der Hochöfen das Dunkel zerreißen und inmitten der rasenden Bewegung dem Gemüte kein Atom mehr möglich scheint, das nicht in Arbeit ist.  - (ej2)

Arbeit (9) Ja, Camerado, es ist noch viel Pestgas in den Lenzlüften, trotz Baumblüte und Mittagssonne - verfluchter Gestank nach Schweiß und Leder und Staub im verklebten Schlund, indeß der Kopf groß steht wie eine Giftblase voll Kot! . . . gelegentlich einen ansaufen oder schlenkernde Tänze mit Weibern, die Schenkel haben - ja, lieber Oz! Wo blieben die zimtduftenden Küsten der Dichter - in den Tag, wo Dir die Reklamen an den Schädel poltern, wo blieb der süße Terpentingeruch des Friedens ohne Bezugsschein - früh als Du noch Schrippen aßt! Wo sind die Lunaparks und die großen Schaukeln und die Tanzkasinos? Dagegen bebt enorm die Zeit, es vibriert aderngeschwollen und stets drohen tiefhängende Wolken — fast ist es, als gehst Du unter Tag in Steinkohlengruben. Arbeit ist die Erlösung, gewaltige Dinge auszudenken, und Riesentableaus zu organisieren, Farbkomplexe zu schichten, Linien zu staffeln wie ein Feldherr, ganze Schlachtfelder voller blutendes Rot und die schwarzen Senkrechten - für mich gilt es, dieses tausende Gleichzeitige des banalsten Heute - wie schwer zu geben das Geschiebe der turbulenten Straße, die fabelhaften Bewegungen der Formate, da sind: Menschen, ihre Maschinen, die Tiere, das Blühen der Bäume, himmelblau oder grau - Pfiffe in der Nähe der Bahnhofs, ratternde Automobile, surrende Propeller (über dir in den Himmeln hängt ein Gotha!). Der Märchenwald aller Firmenschilder d. h. auch gerade und sachlichste Reklamen - von Gleisen jeder Art überspanntes Terrain, immer wieder Menschen, Exemplare aller Rassen - deine Sehnsüchte fliegend über dem Äquator mit den großen Steamern, vergesse mich im feinen Restaurant oder schlafend bei dem Frauenzimmer - tausendfältig gesteigertes Dasein im Sakkoanzug oder Smoking - immer wieder Sturm zu laufen - sich selbst unterminieren, in die Luft sprengen - kaum wähnst du dich noch gebrauchsfähig - schon predigen die Heilsarmeeapostel die neuen Raids - Disciplin! früh schon, wenn du deine Muskeln fühlst beim Üben mit dem Chest-Expander, oder wenn es gilt, in die Manege zu treten und deiner und des Gegners blaue Sentimente zu zertrümmern. Lichterloh brennt ein Mietshaus - ein Kind fällt in kochenden Spinat, du radelst bereits auf Ersatzreifen - gib es nicht auf. Junge, wenn du auch sechs Tage benötigst-!!!!! -  George Grosz, Brief an Otto Schmalhausen, ca. Februar 1917,  nach: G.G., Briefe 1913-1959. Hg. Herbert Knust. Reinbek bei Hamburg 1979

Arbeit (10) Man muß arbeiten, wenn nicht aus Liebe, dann wenigstens aus Verzweiflung, da genau genommen arbeiten weniger langweilig ist, als sich unterhalten.   - (cb)

Arbeit (11)   Es ist wohl das Erbärmlichste, daß man vergißt, und vor allem das, woran man zugrunde gegangen ist, und auch, daß man zugrunde geht, ohne je zu begreifen, was für Viecher die Menschen sind. Wenn wir am Rand der Grube sind, dann sollen wir uns nicht aufspielen, aber wir sollen auch nichts vergessen, wir sollen alles erzählen, ohne was dran zu ändern, von den größten Gemeinheiten, die wir erlebt haben, und dann tut man die Pfeife aus dem Maul und steigt hinunter. Das ist genügend Arbeit für ein ganzes Leben.   - (reise)

Arbeit (12)  Was ist eigentlich Arbeit? Es gibt zweierlei Arten: einmal, Verlagern der Materie auf oder nahe der Erdoberfläche in bezug auf andere derartige Materien; zweitens, andere Leute anweisen, es zu tun. Arbeit der ersten Art ist unangenehm und schlecht bezahlt, der zweiten angenehm und hoch bezahlt. Außerdem läßt sich die zweite Art unbegrenzt erweitern: Es gibt nicht nur Leute, die befehlen, sondern auch welche, die Ratschläge geben, was zu befehlen sei.  Gewöhnlich werden zwei gegensätzliche Arten von Ratschlägen von zwei organisierten Gruppen von Menschen gleichzeitig erteilt; das nennt man Politik.  Die Befähigung für diese Art von Arbeit braucht nicht auf Kenntnis der Personen, denen der Rat erteilt wird, zu beruhen, vielmehr nur auf der Beherrschung der Kunst, durch Wort und Schrift zu überzeugen, das heißt, auf Beherrschung der Werbung und Propaganda. - Bertrand Russell, Lob des Müßiggangs, nach (enc)

Arbeit (13)    ELISE: «Als man mich während des Krieges verhaftet und für zwei Stunden in ein Gefängnis eingesperrt hat, habe ich meine Kastagnetten aus der Tasche geholt, und dann habe ich getanzt.

Für mich war das Arbeit. Die Gendarmen glaubten, ich wollte mich über sie lustig machen.

Sie hätten mich am liebsten geschlagen, zerhackt.

Vielleicht wollte ich doch nur die Gendarmen ärgern. Nein. Ich sah sie nicht einmal.

Ich tanzte. Es gab für mich damals nichts anderes als Tanzen,

Ich hätte auf dem Leichnam meiner Mutter getanzt.»    - Marcel Jouhandeau, Elise. Reinbek bei Hamburg 1968 (zuerst 1933 ff.)

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