pfelkuchen Sir
Gammer Vans war ein Riese und ein Flaschenmacher.
Und so wie alle Riesen, die auch Flaschenmacher sind, gewöhnlich aus einem kleinen
Däumlingsfläschchen hinter der Tür herausschnellen, tat das auch Sir Gammer
Vans. »Wie geht's?« sagt er. »Danke, sehr gut«, sag ich. »Willst du mit mir
frühstücken?« »Von Herzen gern«, sag ich.
Da gab er mir eine Scheibe Bier und eine Tasse kaltes Fleisch, und unter dem Tisch da war ein kleiner Hund, der pickte alle Krümel auf. »Häng ihn auf«, sag ich.
»Nein, häng ihn nicht auf«, sagt er, »denn er hat gestern einen Hasen getötet. Und wenn du mir nicht glaubst, dann zeig ich dir den lebendigen Hasen in einem Korb.« Er nahm mich also in den Garten mit und zeigte mir seine Raritäten. In einer Ecke brütete ein Fuchs Adlereier aus; in der andern stand ein eiserner Apfelbaum, der war ganz voll mit Birnen und Bleiloten; in der dritten war der lebendige Hase im Korb, den der Hund gestern getötet hatte; und in der vierten Ecke waren vierundzwanzig Reitpeitschen, die droschen Tabak, und als sie mich sahen, droschen sie so drauflos, daß sie den Priem durch die Mauer trieben und durch einen kleinen Hund hindurch, der auf der ändern Seite vorbeikam. Ich, wie ich den Hund jaulen höre, springe über die Mauer und wende ihn so ordentlich wie möglich von innen nach außen. Drauf rannte er davon, als wenn er keine Stunde mehr leben sollte. Dann führte mich Sir Gammer Vans in den Park, um mir sein Wild zu zeigen: und mir fiel ein, daß ich eine Vollmacht in der Tasche hatte, Wildpret für Seiner Majestät Dinner zu schießen. So legte ich die Lunte an meinen Bogen, brachte meinen Pfeil ins Gleichgewicht und schoß unter die Hirsche. Ich brach siebzehn Rippen auf der einen Seite und einundzwanzig und eine halbe auf der andern, aber mein Pfeil ging glatt durch, ohne was zu berühren, und das Schlimmste war, ich verlor den Pfeil. Ich fand ihn aber in einem hohlen Baum wieder. Ich schmeckte dran, da schmeckt ich feuchten Leim. Ich leckte dran, da leckt ich Honigseim.
»Oho«, sagte ich, »da ist ein Bienenstock«, da sprang eine Kette Rebhühner
heraus. Ich schoß nach ihnen. Einige sagen, ich hätte achtzehn getötet, aber
ich bin sicher, ich habe sechsunddreißig getötet, und außerdem noch einen toten
Lachs, der über die Brücke flog, und davon machte ich den besten Apfelkuchen,
den ich je gegessen habe. - (
engl
)
Apfelkuchen (2) «Vertraut auf den Herrn», verkündete Sweet Prophet.
Plötzlich war Alberta auf den Beinen. «Das tue ich!» rief sie mit erhobenen Armen. «Das tue ich! Ich habe Ihm vertraut, und Er schickte mir einen Traum, weil ich glaubte.»
«Knie nieder, Schatz», flehte Sugar. «Du störst den Gottesdienst.»
Aber seine Mahnung verhallte ungehört. Alberta war eine kräftige Frau mit einem flachen, hübschen Gesicht, das jetzt ekstatisch verzerrt war. In einen enganliegenden weißen Kittel gekleidet, reckte sie ihre langfingrigen Hände zum Himmel und zog die Aufmerksamkeit aller auf sich. Ihre Ekstase war ansteckend.
«Amen!» riefen die Gläubigen im Chor.
Mit dem angeborenen Instinkt des Showmasters spürte Sweet Prophet die ihm günstige Stimmung. Er unterbrach seine Ausführungen und forderte sie auf: «Erzähle uns deinen Traum, Schwester.»
«Ich träumte, ich würde drei Apfelkuchen backen», berichtete sie, «und als ich sie aus dem Ofen nahm und zum Abkühlen auf den Tisch stellte, brachen die Krusten auf, und die ganze Küche wurde mit Hundert-Dollar-Noten gefüllt.»
«Mein Gott», rief ein Gläubiger aus.
«Geld! Geld! Geld!» fielen andere ein.
Selbst Sweet Prophet machte ein beeindrucktes Gesicht. «Und hattest du Glauben, Schwester?» fragte er.
«Ich hatte Glauben», erklärte Alberta.
«Sei still, Schatz, um Gottes willen, sei still», warnte Sugar Stonewall.
Aber sie beachtete ihn nicht. «Ich hatte Glauben», wiederholte sie. «Und Gott hat mich nicht enttäuscht. Gott hat mich frei gemacht!»
«Amen», respondierten die Gläubigen in tiefem Ernst. Daraufhin erhob sich Sweet Prophet und gebot mit ausgestreckten Händen Stille. Seine ungeheure Gestalt in dem leuchtend roten, mit weißer Seide gefütterten und weißem Nerz besetzten Gewand wirkte eindrucksvoll. Unter dem Gewand trug er einen Anzug aus schwarzem Taft mit weißen Biesen und Silberknöpfen. Seine Fingernägel, die er nicht mehr geschnitten hatte, seit er behauptete, zum erstenmal mit Gott gesprochen zu haben, waren über drei Zoll lang. Sie waren gewunden wie die Krallen eines exotischen Tiers und in verschiedenen Farben lak-kiert. An jedem Finger trug er einen Brillantring. Sein schwarzes Gesicht mit dem Pferdegebiß und den vorquellenden Augen war glatt und faltenlos, doch sein langes, krauses Haar, auf dem er eine schwarze Seidenkappe trug, war silberweiß.
Stille legte sich wie Nacht über die Menge. «Dann taufe ich dich, die du die Glorie gesehen und den Ruf gehört hast, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.»
Sugar Stonewall griff nach dem Essenskorb, den Alberta für die anschließende Feier vorbereitet hatte, und drückte sich an die Seite. Und das war keinen Augenblick zu früh.
Als Sweet Prophet mit seinen Worten geendet hatte, wurden gleichzeitig an beiden Enden des Blocks von kräftigen Diakonen bediente Feuerwehrschläuche angestellt. Wasserstrahlen schossen hoch in die Luft und stürzten wie die Wasser der Sintflut auf die weißgekleideten Gestalten hernieder.
Von dem heiligen kalten Wasser durchtränkt, das vom Himmel strömte, wurden die Gläubigen, zum größten Teil Frauen, von einem unkontrollierbaren Taumel gepackt. Sie tanzten und schrien und johlten wie von einem Massendelirium ergriffen. Sie sangen und beteten, keuchten und würgten in wahnwitziger Ekstase.
Eine vollbusige Frau schrie: «Meine Haut mag schwarz sein, aber meine Seele hat keine Farbe.»
«Wasche mich so weiß wie Schnee», schrie eine andere und riß sich das Kleid vom Leib, damit das reinigende Wasser ihre nackte Haut überspülen konnte.
«Ich hatte Glauben, stimmt es nicht, Herr?» intonierte Alberta, von der Massenhysterie gepackt, und wandte ihr verklärtes Gesicht zum Himmel. Wasser strömte unbeachtet in ihre Nasenlöcher und erstickte sie fast. «Ich hatte Glauben», fuhr sie spuckend fort, «und Du hast mich nicht enttäuscht.»
Schließlich wurden die Wasserschläüche abgestellt, und Sweet Prophets
Kapelle, die um den Lautsprecherwagen aufgebaut war, begann Hymnen im Rock'n'Roll-Rhythmus
zu spielen. - Chester Himes, Der Traum
vom großen Geld. Reinbek bei Hamburg 1969
|
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
|
|
|
![]() ![]() |
![]() ![]() |