ntirealismus
Die Filmkunst ist jung, knapp 70 Jahre alt. Sie ist nichtständisch entstanden.
Gegenüber den subtilen Qualitäten, die in der Form von Musik, Baukunst, Literatur,
Ölgemälden und Denkmälern entstanden, angelehnt an die klassische Tradition
der Einheit von Bildung und Besitz, verfügt der Fitm über eine erstaunliche
Robustheit, zumindest in seinen Anfängen. Er greift, ohne die verschlungenen
Wege des »Unbehagens an der Kultur« (S. Freud) zwingend beschreiten zu müssen,
auf eine Eigentätigkeit der menschlichen Vorstellungskraft zurück, die es seit
Zehntausenden von Jahren gibt. Etwa seit der Eiszeit (oder früher) bewegen sich
im menschlichen Kopf - zum Teil aus antirealistischen Gründen, nämlich aus Protest
gegen unerträgliche Wirklichkeit - Bilderströme, sog. Assoziationen. Sie haben
eine Ordnung, die auf Eigentätigkeit beruht. Das Lachen, das Erinnerungsvermögen
und die subjektiven Einfälle beruhen auf dieser Rohform, kaum auf bloßer Bildung.
Dies ist das über zehntausendjährige Kino, auf das die technische Erfindung
von Filmnegativ, Projektor und Leinwand nur geantwortet hat. Dies ist zugleich
die besondere Nähe zum Zuschauer und zur Erfahrung. -
Alexander Kluge, Die Patriotin. Texte/Bilder 1-6. Frankfurt am Main 1979
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