nrede   IHR meine Schlampampische gute Schlucker, kurtzweiige Stall und Tafelbrüder: ihr Schlaftrunckene wolbesoffene Kautzen und Schnautzhän, ihr Landkündige und Landschlindige Wein Verderber unnd Banckbuben: Ihr Schnargarkische Angsterträher, Kutterufstorcken, Birpausen, und meine Zeckvollzepfige Domini Winholdi von Holwin: Ertzvilfraß lappscheisige Scheißhaußfüller unnd Abteckerische Zäpfleinlüller: Freßschnaufige Maulprocker, Collatzbäuch, Gargurgulianer: Grosprockschlindige Zipfler und Schmärrotzer: O ihr Latzdeckige Bäuch, die mit eim Kind essen, das ein Rotzige Nasen hat: ja den Löffel wider holt, den man euch hinder die thür würft: Ja auch ihr Fußgrammige Kruckenstupfer, Stäbelherrn, Pfatengramische Kapaunen, Händgratler, Badenwalfarter: Huderer, Gutschirer, Jarmeßbesucher, ihr Gargantztunige Geiermundler und Gurgelmänner, Butterbrater, Safransucher, Meß und Marcktbesucher, Hochzeitschiffer, Auffhaspler, Gutverlämmerer, Vaterverderber, Schleitzer, Schultrabeiser: Und du mein Gartengeselschafft vom Rollwagen, vom Marckschiff, von der Spigeleulen, mit eueren sauberen Erndfreien Herbstsprüchen. Ihr Sontagsjüngherlin mit dem feyertäglichen angesicht, ihr Bursch und Marckstanten, Pflastertretter, Neuzeytungspäher, Zeitungverwetter, Naupentückische Nasen und Affenträher, Rauchverkeuffer, Geuchstecher, Blindmeuß und Hütlinspiler, Lichtscheue Augennebeler: Und ihr feine Verzuckerte Gallen und Pillulen, unnd Honiggebeitzte Spinnen. Sihe da, ihr feine Schnudelbutzen. Ihr Lungkitzlige Backenhalter unnd Wackenader, ihr Entenschnaderige, Langzüngige Krummschnäbel, Schwappelschwäble, die eym eyn Nuß vom Baum schwetzen: ihr Zuckerpapagoi, Hetzenamseler, Hetzenschwetzer, Starnstörer, Scherenschleiffer, Rorfincken, Kunckelstubische Gänsprediger, Schärstubner, Judasjagige Retscher, Waffelarten, Babeler und Babelarten, Fabelarten und Fabeler, von der Babilonischen Bauleut eynigkeyt. Ihr Hildenbrandsstreichige wilde Hummeln, Bäumaußreisser, Trotzteuffelsluckstellige Stichdenteuffel unnd Poppenschiser, die dem Teuffel ein horn außrauffen, unnd pulferhömlein drauß schrauffen. Unnd endlich du mein Gassentrettendes Bulerbürstlein, das hin und wider umbschilet, und nach dem Holtz stincket, auch sonst nichts bessers thut, dann rote Nasen trincket, und an der Geysen elenbogen hincket. Ja kurtzumb du Gäuchhornigs unnd weichzornigs Haußvergessen Mann unnd Weibsvolck, sampt allem anderen dürstigen Gesindlein, denen der roh gefressen Narr noch auffstoset.

Ihr all, sag ich noch einmal, verstaht mich wol, solt sampt und sonders hie sein meine liebe Schulerkindlein, euch wil ich zuschreiben diß mein fündlein, pfündlein und Pfründlein, euer sey diß Büchlin gar mit haut und haar, weil ich doch euer bin so par, Euch ist der Schilt außgehenckt, kehrt hie ein, hie würd gut Wein geschenckt: was lasset ihr lang den Hipenbuben vergebens schreien? Ich kan euch das Hirn erstäubern, Geraten ihr mir zu Zuhörern, so wird gewiß dort die Weißheit auff der Wegscheid umbsonst rufen. - (fisch)

Anrede (2) Wir möchten dem Leser, den wir uns nicht nur wohlwollend vorstellen, sondern moralisch mitbetroffen oder gar mitverschworen in dem halb lästerlich-müßigen und entspannenden Unterfangen, diesen Text vernunftvoll zu lesen — wir möchten ihm also nicht verhehlen, welche generellen und spezifischen Schwierigkeiten sowohl der gedrängte und kompakte Korpus mit dem Hang zu auseinanderstrebenden, demokratischen Analysen, wie auch die einzelnen Gliederungen und Glieder in ihrem Hang zu dienstfertiger Unterwerfung unter die prunkvolle Hierarchie der Synthese bieten. Weitschweifige Rechtfertigung, in der Tat, und durchaus unaufrichtig: die enthüllt, oder vielmehr verbirgt?, die rechtfertigt, wo sie nicht anzeigt, die nur streift, wo sie nicht mittels Judensternchen hervorhebt, nämlich die verdrossene Ungeduld, die eilige Melancholie, die verstockte Schamlosigkeit, die bornierte Gelehrsamkeit des Hochmuts, die albern-elegische Mattigkeit des unfähigen Wortstopplers: Narren-Parnaß, Opferstätte ärgerlicher Tränen und unaufrichtiger Gebete zu bavenden Musen, die schlückchenweise vom verhexten Musenquell und Kamillen-Hymettus schlürfen, Eutherpen mit Zungenfehler und gichtige Thalien. - Giorgio Manganelli, Omegabet. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1969)

Anrede (3) An den Curiösen Leser: Ich bin der Tebel hohlmer ein rechter Bärenhäuter, daß ich meine warhafftige, curiöse und sehr gefährliche Reise-Beschreibung zu Wasser und Lande, welche ich schon eine geraume Zeit verfertiget gehabt, so lange unter der Banck stecken lassen und nicht längstens mit hervor gewischt bin. Warum? Es hat der Tebel hohlmer mancher kaum eine Stadt oder Land nennen hören, so setzt er sich strackss hin und macht eine Reise-Beschreibung zehen Ellen lang davon her! Wenn man denn nun solch Zeug lieset (zumahl wer nun brav gereiset ist als wie ich), so kan einer denn gleich sehen, daß er niemahls vor die Stuben-Thüre gekommen ist, geschweige, daß er fremden und garstigen Wind sich solte haben lassen unter die Nase gehen, als wie ich gethan habe. Ich kan es wohl gestehen, ob ich gleich so viel Jahr in Schweden, so viel Jahr in Holland, so viel Jahr in Engelland, auch 14 gantzer Tage in Indien bey den grossen Mogol und sonst fast in der gantzen Welt weit und breit herum gewesen und so viel gesehen, erfahren und ausgestanden, daß wenn ich solches alles erzehlen solte, einen die Ohren davon weh thun solten. Ich habe aber Zeitlebens kein Geprahle oder Aufschneidens davon hergemacht — es wäre denn, daß ichs bisweilen guten Freunden auf der Bier-Banck erzehlet hätte. Damit aber nun alle Welt hören und erfahren soll, daß ich nicht stets hinter den Ofen gesessen und meiner Frau Mutter die gebratenen Aepffel aus der Röhre genascht, so will ich doch nur auch von meiner manchmal sehr gefährlichen Reise und Ritterlichen Thaten zu Wasser und Lande, wie auch von meiner Gefangenschaffi zu Sanct Malo eine solche Beschreibung an das Tagelicht geben, deßgleichen noch niemals in öffentlichen Druck soll seyn gefunden worden, und werden sich die jenigen solche vortrefflich zu Nutze machen können, welche mit der Zeit Lust haben, frembde Länder zu besehen. Solte ich aber wissen, daß dasselbe, welches ich mit grosser Mühe und Fleiß aufgezeichnet, nicht von iederman geglaubet werden solle, wäre mirs der Tebel hohlmer höchst leid, daß ich einige Feder damit verderbet; ich hoffe aber, der Curiöse Leser wird nicht abergläubisch seyn und diese meine sehr gefährliche Reise-Beschreibung vor eine blosse Aufschneiderey und Lügen halten, da doch beym Sapperment alles wahr ist und der Tebel hohlmer nicht ein eintziges Wort erlogen.

In übrigen werde ich gerne hören, wenn man sagen wird: Dergleichen Reise-Beschreibung habe ich Zeitlebens nicht gelesen; wird solches geschehen, so sey ein iedweder versichert, daß ich nicht allein mit der Zeit den andern Theil meiner warhafftigen Curiösen und sehr gefährlichen Reise-Beschreibung zu Wasser und Lande, von den Orientalischen Ländern und Städten, wie auch von Italien und Pohlen unter der Banck herfür suchen will, sondern ich werde mich auch Lebenslang nennen

des Curiösen Lesers
allezeit
Reisefertigster
Schelmuffsky. - Christian Reuter, Schelmuffsky. 1696

Anrede (4) Ein schlafender Rüpel regt sich, wirft einen Nachttopf um, legt sich aufs andre Ohr und schnarcht weiter. Das sind die Moralprozeduren des Staates. Die einen rütteln ihn, daß er erwache. Die andern nennen ihn einen Schweinkerl. Vergebens. Er schläft und rumort nur im Faulbett, wenn wieder die Blähungen der Sittlichkeit ihn befallen. Dann nimmt die Gerechtigkeit ihren Lauf...

O du alter nichtsnutziger Lümmel, du ausgeschämter Hallodri du, heiliger Saufaus und ehrbarer Wüstling, du nimmst den Töchtern der Wollust die sauer erworbenen Groschen, hebst den Zins von allen Schanden ein, und gehst hin und verklagst die überhand nehmende Unsittlichkeit! Denn die eifersüchtige Alte, die dir im Hause sitzt, die Gesellschaft, ist dir hinter deine Zärtlichkeiten gekommen, schwingt den Pantoffel über dir und zwingt dich, einmal im Jahr ihr mit deiner Gesinnung zu Willen zu sein, wenn du schon deine Impotenz so leichtfertig zersplittert hast. Dann schnarchst du Anklagen, rülpsest Erlässe und lässest ein paar Moralsprüche ergehen, daß die Engel im Himmel sich die Nase zuhalten. Schlichest du nicht hinter der kleinen Mizzi Veith einher, du päpstlicher Conte? Hieltest sie nicht vier Jahre den Kavalieren feil, denen du die Kabinette öffnest, wenn sie regieren oder sich auf feinere Art amüsieren wollen! Und nahmst ihr eines Nachts den Champagner vom Munde und gabst ihr Wasser zu trinken. Und umkreistest ihren Leichnam wie eine schwarzgelb gefleckte Hyäne und schleiftest ihn zum Gerichtstisch, wo er als Corpus delicti, nein, als Corpus vile dem Appetit deiner Rache dienen muß! O du alter Tunichtgut, du ärarischer Pförtner der Lust, du Schüler deiner Hausmeister, du Trinkgeldnehmer deiner Huren, der du alles siehst und nichts gesehen haben willst, der du nichts siehst und alles gesehen haben willst, Bordellwirt zweier Reiche, du in Kalksburg geborener und nach Budapest zuständiger, mehrfach vorbestrafter, öfter aus der Zivilisation abgeschobener warmer Betbruder, du Voyeur mit dem ewig zugedrückten und dem Auge des Gesetzes, der du in Abenteuer tölpelst, wenn es verlangt wird, du Mächtiger über die Schwachen und Schwacher vor der Frau Sachs! Wie oft habe ich dich gepackt, wie oft dich gebeten: tu‘s nicht; sei nicht niederträchtig, wenn du nicht die Kraft hast, es bis ans Ende zu sein, wie jener preußische Schutzmann, dessen Beispiel dich verlockt hat; spiel dich nicht auf mit der Devise, daß es noch Richter in Österreich gibt, solange Europa das unerschütterliche Vertrauen in die Wahrheit hat, daß man es sich in Österreich noch richten kann. Wie oft habe ich dich gebeten: tu‘s nicht, und du tatest es doch und schicktest deine Richter über deine Huren. Wie habe ich dir mit einem Buch auf den Schädel geschlagen, daß ich hoffte, die Unvereinbarkeit von Sittlichkeit und Kriminalität werde dir aufgehen, ohne daß dir aus der Lektüre ein innerer Schaden entstände. Aber du schämtest dich deiner Beulen nicht und lachst des Versuchers. Und protzest gar mit der Unschuld deiner Polizisten. - Karl Kraus, Prozeß Veith. In: Die chinesische Mauer. Frankfurt am Main 1967 (zuerst 1908)

Anrede (5)

Singen heißt mich das Herz von Gestalten, verwandelt in neue
Leiber. Ihr Götter, gebt, habt ihr doch auch sie einst verwandelt
Gunst dem Beginnen und leitet mein stetig fließendes Lied vom
ersten Ursprung der Welt bis herab zu unseren Tagen.

-  (ov)

Anrede (6) O feindlicher Pöbel, es ist mir nicht neu (obgleich vielleicht dir), wie viele schlimme Freunde du hast, wie wenig du taugst und verstehst und wie bissig, neidisch und geizig du bist; wie eilig beim Verleumden, wie säumig beim Ehren, wie zuverlässig beim Schaden, wie unzuverlässig beim Guten, wie leicht zu wenden, wie schwer zu bessern! Welche diamantene Festung brechen deine scharfen Zähne nicht? Welche Tugend gilt für deine Zunge ? Welche Frömmigkeit verteidigen deine Werke? Welche Mängel deckt dein Mantel zu? Welchen Theriak erblicken deine Augen, den du gleich einem Basilisk nicht giftig machtest? Welche noch so herzige Blume durchdrang dein Ohr, die du im Bienenschwärme deines Herzens in Gift zu wandeln unterließest? Welche Heiligkeit verleumdest du nicht? Welche Unschuld verfolgst du nicht? Welche Einfalt verurteilst du nicht? Welche Gerechtigkeit beschämst du nicht? Welche Wahrheit entweihst du nicht? Welche grüne Wiese hast du betreten, auf welcher du nicht die Makel deiner Geilheit hinterließest? Und wenn man Peinlichkeit und Treiben einer Hölle nach dem Leben malen sollte, könntest du allein, dessen bin ich gewiß, ihr Ebenbild sein. - Mateo Alemán, Vorrede zu: Guzmán von Alfarache (München 1964, zuerst 1599)

Anrede (7) Hier biete ich Euch, mein Herr, kein majestätisches Mahl von Nektar und Ambrosia wie das des donnernden Zeus, kein sündiges Mahl wie das der ersten Menschen, kein geheimnisvolles, wie das des Ahasveros, kein üppiges wie das des Lukull, kein frevlerisches wie das Lykaons, kein tragisches wie das des Thyestes, kein qualvolles wie das des Tantalus, kein philosophisches wie das Platos, kein ärmliches wie das des Diogenes, kein winziges wie das der Blutegel, kein Bernisches wie das eines Erzbischofs von Povigliano, kein komisches wie das eines Bonifacio Candelaio1. Sondern ein Mahl, so groß und klein, so meisterhaft und schülerhaft, so gottlos und fromm, so fröhlich und verdrießlich, so herb und mild, so florentinisch-mager und bolognesisch-fett, so zynisch und sardanapalisch, so ausgelassen und ernst, so schwer und beschwingt, so tragisch und komisch, daß ich überzeugt bin, es wird Euch nicht an Gelegenheit mangeln, heroisch zu werden und schüchtern, Meister und Schüler, gläubig und ungläubig, fröhlich und traurig, melancholisch und jovial, erleichtert und beschwert, hündisch und hochsinnig, äffisch und würdevoll, Sophist mit Aristoteles und Philosoph mit Pythagoras, lachend mit Demokrit und weinend mit Heraklit. Ich will sagen, wenn Ihr mit den Peripatetikern gerochen, mit den Pythagoreern gegessen und mit den Stoikern getrunken habt, bleibt Euch immer noch etwas mit dem zu saugen übrig, der, als er die Zähne zeigte, ein so freundliches Lächeln aufsetzte, daß ihm der Mund bis an beide Ohren reichte.  - Giordano Bruno, Das Aschermittwochsmahl. Frankfurt am Main 1981 (it 548, zuerst ca. 1580)

Anrede (8)  AN DIE LIBERTINS  Wollüstige jeden Alters und jeden Geschlechts, euch allein widme ich dieses Werk; nehmt seine Grundsätze in euch auf, denn sie nähren eure Leidenschaften, von denen kalte und platte Moralisten euch abschrecken wollen und die doch nur die Mittel sind, welche die Natur anwendet, um den Menschen ihre Ziele erreichen zu lassen; gehorcht nur diesen köstlichen Leidenschaften; ihr Ursprung allein darf und kann euch zum Glück führen.

Lüsterne Frauen, möge die wollüstige Saint-Ange euer Vorbild sein; verachtet gleich ihr alles, was den göttlichen Gesetzen der Lust widerspricht, an die sie ihr Leben lang gekettet war.

Mädchen, die ihr zu lange in den unsinnigen und gefährlichen Banden einer eingebildeten Tugend und einer widerwärtigen Religion gefangen gehalten wurdet, eifert der heißblütigen Eugenie nach, zerstört, zertretet ebenso geschwind all die lächerlichen Lehren, die blödsinnige Eltern euch einhämmerten.

Und ihr, liebenswerte Wüstlinge, die ihr von Jugend an keine anderen Schranken kennt als eure Begierden und keine anderen Gesetze als eure Launen, möge der zynische Dolmance euch als Beispiel dienen; geht so weit wie er, wenn ihr gleich ihm alle blumigen Straßen durchziehen wollt, welche die Geilheit euch bereitet; laßt euch in seiner Schule überzeugen: nur wenn es den Bereich seiner Neigungen und Einfälle ausdehnt und wenn es alles der Wollust aufopfert, kann jenes unglückliche Individuum, das unter dem Namen Mensch bekannt ist und das wider seinen Willen in dieses traurige Universum geworfen wurde, einige Rosen über die Dornen des Lebens säen. - Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir. Ungekürzte Studienausgabe, zur Erziehung junger Damen bestimmt. Gifkendorf 1989 (zuerst ca. 1789)

Anrede (8)  Erregung unserer Stimme, wenn wir mit den Tieren reden; sie rührt wohl daher, daß die Tiere etwas Unentdecktes in uns hervorlocken, für das wir ohne sie keine Verwendung hätten. »Welche Plattheiten, welche Albernheiten!« sagt wohl einer, die doch in Wahrheit keine sind, wenn man bedenkt, welch ein Bedürfnis nach Rührung daraus spricht und sich bisweilen so liebenswert äußert, mit soviel Witz und Erfindungsgabe. Ich denke da insbesondere an die Worte, die meine Großmutter väterlicherseits verschwenderisch erfand, mit einer Phantasie, die ans Geniale streifte, sobald sie eine Kuh anredete, ein Huhn, ihren Hund oder ihre Katze. Das gleiche gilt von den Gesängen, die meine Elise ihren Pflegebefohlenen ins Ohr singt: »Mein Herzchen, mein Schätzchen, mein Schönchen, mein Weißchen, mein aller-weißestes Puttchen«, um im übrigen - alle beide, meine Großmutter ebenso wie Elise - im Handumdrehn bei der leisesten Weigerung des derart liebkosten Tieres zu den ärgsten Beschimpfungen überzugehen.  - Marcel Jouhandeau, Das Leben und Sterben eines Hahns. Tiergeschichten. Stuttgart 1984 (zuerst 1947)

Anrede (9)  

o tod du dunkler meister
du gallenbittres elixier
du zugereister harpunier und gott
du mond voll blinder äugen
du rosenzwerg im hinterhalt
du spinnenturm du spinne
du punkt zum abgethronten leben
o tod du schwarzer meister
erhöre uns erhöre uns
verschone uns
vor deinen spröden särgen
zerbeiß uns nicht das hirn wie glas
o tod du dunkler meister
zerbeiß uns nicht wie glas..
o tod du dunkler meister
du auf gerißner kiefer
du untrostschwere erden
du ohngeformter rattenschnabel
du durch und durch gewürmtes fleisch
du samenfraß du leere muschel
du nasse aschensonnen
o tod du schwarzer meister
erhöre uns erhöre uns
verschone uns
vor deinen wunden särgen
zerbeiß uns nicht wie glas das hirn
o tod du dunkler meister
zerbeiß uns nicht wie glas ..

- Aus: treuherzige kirchhoflieder, nach (artm)

Anrede (10)

An das Publikum.

   Bevor überhaupt wir zu Ihnen hinabsteigen, um auszumerzen
Ihre stockigen Zähne, Ihre grindigen Ohren, Ihre Sprache, die die Krätze hat —

   Bevor wir Ihre faulenden Knochen zerbrechen —

   Die katharrhalische Plauze öffnen um als Dünger zur Hebung der Landwirtschaft zu dienen, Ihre Fettleber, Ihre Proletenmilz und Diabetikernieren exstirpieren —

   Bevor wir confiscieren Ihren häßlichen Sexus, der anstößig wirkt und entartet, —

   Bevor wir Ihnen den Appetit verderben auf Schönheit, Zucker, Pfeffer, Philosophie und metaphysisch — mathematisch — lyrischen Gurkensalat —

   Bevor wir in Vitriol Sie tunken, um Sie zu reinigen und energisch zu läutern

   Vor alledem

   Wolln wir erst mal ein großes antiseptisches Bad nehmen

   Wir machen Sie darauf aufmerksam:

   Wir sind die großen Meuchelmörder All Ihrer kleinen Neuigkeiten

   Und schließlich: wie geht das schöne Lied:

   Ki Ki Ki Ki Ki Ki Ki -

   Sehet den lieben Gott wie er reitet auf einer Nachtigall -

   Was heißt da häßlich und schön —

   Madame Deine Schnauze riecht nach Zuhältermilch

   Am Morgen

   Denn Abends kann man sie eher nennen: Popo eines lilientollen Engels

   Ist das nicht nett?

   Adieu mein Freund!     

 (Dadatraduction Walther Mehring.)

- Georges Ribemont-Dessaignes, nach: 113 DADA Gedichte. Hg. Karl Riha. Berlin 1982

Anrede (11)

Anrede (12)

IHR
Bananenesser und Kajakleute!

Wischt die Lafetten aus und schmiert die Posaunen zum Breiklang Eures jüngsten Gerichts. Die Monomanen sind die Priester des Weltalls, l Tausend 9 Hundert zwanzig Jahre frohnt der heilige Geist in den Bagnos Eurer parties honteuses. Schon kabelt Europa die Schreckenskunde: Hirnzellulose nur noch im Schleichhandel greifbar. Baut Woolworth-Häuser! in denen Eure Schande nistet, aber protzt nicht mit dem Sekret Eurer Adamsäpfel, die Ihr vom Baum der Erkenntnis geklemmt!

Persönlichkeit ist die Kurve des Harakiri.

Die Bankerotterklärung durch das Mitleid als Feigenschurz.

Ihr betet zur Zangengeburt von Bethlehem, dem großen Kuppler von Himmel und Erde. Das Paradies für jedermann sofort gebrauchsfähig mittels unserer synthetischen Hakenkreuze. Hauptschlager aus den Cabarets in 1a. christlich-byzantinischer Aufmachung. Von Dionysos bis Pastor Mauke (und pathetische Cholera mit den üblichen Begleiterscheinungen nach dem Genuß unreifer Kompromißfrüchtchen!) Oder Achtung, der Messias kommt, ein Lotteriespiel mit tausendjähriger Ziehung, oder das Kalb mit den zwei Köpfen, oder, wenn Du glaubst Du hast'n, dann hupft er aus dem Kast'n.

Die sogenannten schönen Künste sind danach nur noch als Rollenpapier zu verwerten und wer sieb seelisch reinigen will, der gehe statt in die Kirche zum Admiralsbad nebenan. Denn in der Unschuld haben sich immer die verdächtigsten Hände ge­waschen. Und Eure Reue kommt stets zu früh, sie hinkt vor der Tat her.

Warum so heilig — revolutionär — modern!, wenn einem das Ethische egalweg hinten 'raus hängt . . . Dem Roentgen-Menschen gehört die Zu­kunft. Das kontrollierbare Unterbewußtsein muß die Forderung des Tages werden. Darum massiert vor dem kommenden Dauerschlaf Eure Träume sorgfältig mit Dada.

IHR
Bananenesser und Kajakleute!

Protzt die Schädel ab und versichert das Trom­melfell gegen...Zukunftsmusik und Humanitäts-dusel. Bedenkt, daß um die Ecke ein Mann Euer Schicksal kennt, dem eine Postkarte genügt. . . Nur keine Bange. Die theosophischen Schweinsblasen retten den Gemüseleib leicht zur Unsterblichkeit hin­über, und der General-Superintendent Wotan bläst zum Empfang den alten Dessauer auf der Prostata, sekundiert vom Flügeladjutant v. Paulus. Das große Preisrätsel: Hat Christus gelebt, ist umgestellt in das Problem: Aber seid Ihr geboren?

 - Walt[er] Me[h]rin[g], nach: Dada-Almanach 1920. Hg. Richard Huelsenbeck im Aufrag des Zentralamts der deutschen Dada-Bewegung. Nachdr. Hamburg 1980 (Edition Nautilus)

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