Anpumpen   Geld muß immer Hals über Kopf aufgetrieben und innerhalb vereinbarter Zeitabstände, entweder mit Versprechungen oder in bar, zurückbezahlt werden. Ich glaube, ich konnte eine Million Dollar auftreiben, wenn man mir nur genug Zeit ließe - und damit meine ich nicht Sternenzelt, sondern die gewöhnliche Uhrzeit von Tagen, Monaten und Jahren. Schnell Geld aufzutreiben, sogar Fahrgeld, ist jedoch die schwierigste Aufgabe, die man mir stellen kann. Seit ich die Schule verließ, habe ich fast ständig gebettelt und geborgt. Ich habe oft einen ganzen Tag mit dem Versuch verbracht, zehn Cent aufzutreiben. Bei anderen Gelegenheiten wurden mir große Geldscheine in die Hand gedrückt, ohne daß ich auch nur den Mund aufmachte. Ich weiß heute nicht mehr über die Kunst des Borgens als am Anfang. Ich weiß, daß es gewisse Menschen gibt, die man nie, unter keinen Umständen, um Hilfe bitten soll. Dann gibt es wieder andere, die dir deine Bitte neun-undneunzigmal abschlagen und beim hundertstenmal nachgeben und dich vielleicht nie wieder abweisen. Es gibt Leute, die man sich für den wirklichen Notfall aufspart, da man weiß, daß man sich auf sie verlassen kann, und wenn der Notfall eintritt und man zu ihnen geht, wird man grausam enttäuscht. Es gibt keine Menschenseele auf Erden, auf die man sich absolut verlassen kann. Für einen raschen, großzügigen Pump ist der Mann, den man erst vor kurzem kennengelernt hat, der einen kaum kennt, gewöhnlich ein ziemlich sicherer Tip. Alte Freunde sind am schlimmsten: Sie sind herzlos und unverbesserlich. Auch Frauen sind in der Regel hart und gleichgültig. Dann und wann denkt man an jemanden, den man kennt und von dem man glaubt, er würde etwas herausrücken, wenn man hartnäckig bleibt, aber der Gedanke an das Betteln und Bohren ist so unerquicklich, daß man ihn aus seinem Denken streicht. Die Alten sind häufig so, vielleicht aus bitterer Erfahrung. Um erfolgreich zu pumpen, muß man ein Monomane auch auf diesem Gebiet sein, wie auf allen anderen. Wenn man sich ihm hingeben kann, wie bei Yoga-Übungen, das heißt mit Leib und Seele, ohne Empfindlichkeit oder Vorbehalte irgendwelcher Art, kann man auf diese Weise sein ganzes Leben verbringen, ohne jemals einen ehrlichen Penny .verdienen zu müssen. Natürlich ist der Preis zu hoch. In der Not ist die beste Eigenschaft Verzweiflung. Die beste Methode ist die ungewöhnliche. Es ist zum Beispiel leichter, von jemandem zu borgen, der unter einem steht, als von einem Gleichgestellten oder jemandem, der über einem steht. Auch ist es sehr wichtig, daß man zu Zugeständnissen bereit ist, ganz zu schweigen von Selbsterniedrigung, die _ eine conditio sine qua, non ist. Der Mensch, der Geld borgt, ist immer ein Angeklagter, ein potentieller Dieb. Niemand bekommt jemals zurück, was er verliehen hat, selbst wenn der Betrag mit Zins und Zinseszinsen bezahlt wird. Der Mensch, der sein Pfund Fleisch fordert, wird immer übers Ohr gehauen, auch wenn es nur durch Groll oder Haß geschieht. Borgen ist eine positive Sache, leihen eine negative. Sich Geld zu borgen mag unbequem sein, aber es ist auch erheiternd, lehrreich und lebensnah. Der Borger bemitleidet den Borgenden, obschon er häufig seine Beschimpfungen und Kränkungen hinnehmen muß.

Im Grunde sind Borger und Borgender ein und derselbe. Darum kann noch soviel Philosophieren nicht das Böse auslöschen. Sie sind füreinander geschaffen, so wie Mann und Frau füreinander geschaffen sind. Gleichviel wie phantastisch das Bedürfnis ist, wie verrückt die Bedingungen sind, es wird immer einen Menschen geben, der ein williges Ohr leiht und das Nötige herausrückt. Ein guter Borger geht an seine Aufgabe heran wie ein gewiegter Verbrecher. Sein Hauptprinzip ist, nie etwas umsonst zu erwarten. Er will nicht wissen, wie er das Geld zu günstigsten Bedingungen bekommen kann, sondern genau das Gegenteil. Wenn die Richtigen zusammenkommen, bedarf es nicht vieler Worte. Sie erkennen einander sozusagen als gleichwertig. Der ideale Borger ist Realist und weiß, daß schon morgen die Situation umgekehrt sein und aus dem Borger ein Borgender werden kann. Ich kannte nur einen Menschen, der das im rechten Licht sah - und das war mein Vater. Ihn sparte ich mir immer für den kritischsten Moment auf. Und er war der einzige, bei dem ich nie versäumte, das Geld zurückzuzahlen. Nicht nur wies er mich nie ab, sondern er inspirierte mich dazu, anderen in gleicher Weise zu helfen. Jedesmal wenn ich mir von ihm Geld lieh, wurde ich ein besserer Verleiher - oder sollte ich sagen: Geber, denn ich habe nie auf Rückzahlung bestanden. Es gibt nur eine Art, Güte zurückzuzahlen, nämlich seinerseits gütig zu sein zu denen, die in der Not zu einem kommen. Eine Schuld zuriickzuzahlen ist völlig unnötig, soweit es sich um die kosmische Buchführung handelt. (Alle anderen Formen der Buchführung sind verderblich und anachronistisch.) «Kein Borger sei und auch ein Verleiher nicht», sagte der gute Shakespeare und gab damit einer Wunscherfüllung aus seinem utopischen Traumleben Ausdruck. Für die Sterblichen ist Borgen und Verleihen nicht nur essentiell, sondern sollte geradezu ins Unerhörte gesteigert werden. Am richtigsten verhält sich der Tor, der nicht nach links oder rechts schaut, sondern ohne zu fragen gibt und ohne zu erröten fordert.

Um es kurz zu machen, ich ging zu meinem alten Herrn und bat ihn ohne viele Umschweife um fünfzig Dollar. - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1947)

 

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