Anfängemacher    Zumindest Ein Mal hat es uns tief getroffen —, so ernähren wir denn unsere gesamte irdische Zeit von Liebesanfängen, von jenen triumphalen und zügellosen Anfängen, durch die alle Geschichte und Gesellschaftsgeschichte entschlüpft und wir einer unwandelbaren Hoch-Zeit teilhaftig werden. Was aber aus dem Anfänglichen hervorgeht, ist unweigerlich die Geschichte, rauschlos und roh, und sie zerlegt uns in die schmerzlichsten Unterschiede. In wie viele enttäuschte Gesichter habe ich nicht schon geblickt, und wie weh tat das! Oftmals jetzt, in dieser zähen Morgenfrühe, erscheinen sie im Gartendunst, der stumme Reigen meiner bitteren Freundinnen, die alle einst den Anfang mit mir schufen — und jede ist einmal die einzig Richtige gewesen! Schweigend ziehen sie durch die graue Luft, und wahrlich, es sind furchtbare Mischwesen, verdrehte Fabeltiere, die Ausgeburten von Sinnenfreude und Melancholie, herbeigerufen durch die Frenesien eines Dufts, eines ähnlichen Gesichts, eines wiedergefundenen Geschenks - o diese stille, hungrige Meute! Doch keine mehr ansprechbar; ungerührt und mit stolzem Befremden sehen sie meinen verzweifelten Versuchen zu, ihr Verzeihen zu erflehen. O meine Freundinnen, halt! Noch auf ein Wort! . . . Ach, es sind nur die leeren Schatten der elenden, verfluchten Anfänglichkeit; Geschöpfe, die mein Entzücken entseelt hat. Welch grausame Verkürzungen habe ich an Menschen begangen!

Nichts als ein ewiger, schlechter Anfängemacher bin ich gewesen, rücksichtslos und unverbesserlich, von allem Ersten hingerissen und unfähig, die Vertraute zu lieben, vielmehr bereit, sie sofort für die nächste schone Unbekannte einzutauschen.  - Botho Strauß, Der junge Mann. München 1984

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