Andechser Gefühl   Frau: Ungestraft sollst du einen Menschen nicht so mit Füßen treten dürfen. Das kann man nur mit einer Frau machen. Wenn eine Frau häßlich ist, darf man alles mit ihr machen. Wenn man auf einen wartet, wird man nur in den Boden gestampft. Als Mensch habe ich dich noch nicht erfahren, ich nicht. Da könnte ich gleich mit einem Hund zusammenleben, da weiß ich, daß der bloß bellt. Die erste Frau wird ausgesaugt, die zweite kann sich sonnen.

Die Filmschauspielerin wirft einen gequälten Blick zurück.

Frau: Alles Lüge! Zehn Jahre lebt er mit mir und kennt mich nicht! Ich habe es gewußt und habe es nicht geglaubt. Ich war immer überfordert. Ich war nur die Frau, die ihn versorgt. Das ist eine mütterliche Position. Mama, hat er in ihrer Anwesenheit zu mir gesagt, Mama! Das läßt sich ändern!

Die Frau will sich auf das Kind werfen. Das Kind kriecht unter den Tisch. Die Frau läßt ab. Erschöpft setzt sie sich auf einen Stuhl. Das Tranchiermesser hält sie noch immer.

Frau: So wird man, wenn man mit ihm zusammenlebt... Stück für Stück treibt er mich zum Selbstmord jeden Tag. Stück für Stück wird mir das Fleisch herausgerissen, jeden Tag wo anders. Ich könnte auf den Friedhof gehen und mein Grab schaufeln, hineinlegen und zu. Ich bin kein Mensch, ich bin kein Tier, ich bin ne Rolle Klopapier. Kind: Das heißt ein Arschloch Nummer vier.
Frau: Schau ihn dir an, den Verbrecher, der hat mich umgebracht, dein Vater! Jetzt wird er es auf dich absehen.
Unverwandt steht der Lehrer mit der Filmschauspielerin, die jetzt auch erstarrt ist, sie blicken durch die Glastüre, die in den Garten führt.
Lehrer: Heute ist ein schöner Tag zum Sterben!
Die Frau springt auf.
Frau: Ich bin auch ein Mensch, aber du machst mich zu allem fähig! Zehn Jahre warte ich auf dich! Dein Wahn ist meine Wirklichkeit: ich liebe dich! Du Hund! Entschuldige, daß ich auch lebe, auch ich lebe nur einmal.
Da hast du dein Andechser Gefühl.
Sie rennt dem Lehrer das Messer in den Rücken.   - Herbert Achternbusch, Die Stunde des Todes. Frankfurt am Main 1975

Gefühl

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