analyse  Der Dadaismus ist die notwendig am Ende aller Kulturen in der jeweiligen „Formensprache"  (SPENGLER) sich einstellende pralaya, deren manvantara eben jene vorherige Entwicklung war. Diese termini aus der indischen  Esoterik sind hier in ihrer vollen Prägnanz zu verstehen.  Ohne   daß er sich darauf etwa irgend  etwas Besonderes zugute täte oder anders  als mit parodischer  Pedanterie daraus seinerseits wieder eine „Religion" machte, ist es die analytische Funktion des Dadaismus, mit den längst zu einem ragenden Wahnsystem schreckhaft erstarrten Grundvorstellungen einer Welt radikal aufzuräumen, sie auf Null zu reduzieren, sie aufzulösen in das in jenen Phänomenen bereits wieder zu ahnenden, weil noch latenten, apeiron  der Indifferenz, es münden zu lassen in jenes mare tenebrarum unübersehbarer Sinnlosigkeit, die in anschaulicher Metaphorik nur durch abstruseste Absurditäten und letzthinnigen Irrsinn darstellbar ist.  - Daimonides, nach: Dada-Almanach 1920. Hg. Richard Huelsenbeck im Aufrag des Zentralamts der deutschen Dada-Bewegung. Nachdr. Hamburg 1980 (Edition Nautilus)

Anaalyse (2)  Lifante setzte sich auf den Stuhl und kippte ihn, so daß er auf den Hinterbeinen stand, damit er die Beine auf den Tisch legen konnte, nicht ohne vorher die Schuhe auszuziehen. Das Mädchen schlief im Sitzen, seltsam aufrecht, und atmete leicht. Was Erschöpfung alles bewirkt, dachte Lifante und ging von der aseptischen Beobachtung zur Analyse über. Das Mädchen war ein interessantes Beispiel für das Studium der Körpersprache. Konnte ein Leser, der ihre Geschichte nicht kannte, also die allgemeinen und besonderen Umstände, die sie auf diesen Stuhl gebracht hatten, konnte er diese erschließen, wenn er nur vom Studium ihres Körpers ausging, so wie er ihn vor sich hatte, ohne andere Anhaltspunkte? Er schloß die Augen und dehistorisierte sein eigenes Wissen. Mal sehen: Ich weiß nicht, daß dieses Mädchen drei Tage lang auf den Beinen gestanden hat, ohne Schlaf, und daß sie wegen versuchtem Einbruchdiebstahl, Körperverletzung, Drogenhandel und Mord angeklagt wird. Ich weiß nur, daß ich sie beim Betreten dieses Raumes so gesehen habe, wie sie da sitzt. Vor mir habe ich ein System passiver Botschaften, und ich muß das Prinzip von Moles und Zcltman anwenden: Jede Information im eigentlichen Sinn wird überlagert von einer Reihe von Informationen, die der Rezeptor interpretiert. Ein Körper, der mißhandelt aussieht und in angespannter Haltung schläft. Kleidung ursprünglich schon schlecht, aber noch verschlechtert durch erzwungene Vernachlässigung, wahrscheinlich erzwungen durch einen Umstand, der diese Vernachlässigung bedingte. Mißhandelter Körper - Anzeichen der Gewalt, Ruhestellung aufrecht und defensiv, Elemente eifrig erstrebten Überlebens. Das stützende Element (Stuhl) inadäquat für die tiefe Erschöpfung, die dieser Körper ausdrückt. Aus allen diesen Elementen kann ich einen Schluß ziehen, aber keinen unvoreingenommenen, da mein optisches Gedächtnis, das heißt meine optische Bildung, mich dieses Zeichensystem assoziieren läßt mit ähnlichen Szenen, die ich aus Fernsehen, Kino oder Büchern kenne. Das heißt, es gibt nicht nur strikte oder in diesem Fall objektbezogene Informationen und solche, die durch mich interpretiert werden, wie Moles und Zeltman sagen würden, sondern auch Bezugspunkte, die helfen, den Charakter einer Situation zu klären: Entweder befindet sich das Mädchen in der Höhle von Gangstern, die es mißhandelt haben, oder auf dem Polizeikommissariat, wo sie verhört wurde. Seltsam, wie alles dazu tendiert, eine historische Dimension zu haben, wie jegliche Analyse zum Historischen führt, obwohl dies das Vergnügen an der Analyse mindern kann.

«Lifante.»

«Bitte, Herr Inspektor.»

«Wecken Sie sie auf!»

Er zog die Schuhe an und stand auf, um zu ihr zu gehen. Als er ihr die Hand auf die Schulter legte, fiel ihm auf, wie mager sie war. Etwas stieß ihn ab an diesem Kontakt, aber er wußte nicht, ob es der Körper als eigenständige Information war oder das Historische. Das Mädchen schreckte auf und wollte aufstehen.

«Ganz ruhig. Einen Milchkaffee? Er ist kalt, weil wir Sie einen Moment schlafen ließen.»

Sie zuckte die Achseln und trank den Kaffee, zuerst in kleinen Schlucken, dann immer gieriger. Warum trinkt sie den Kaffee auf diese Art? Anerzogen, ein ‹way of.. .›, wie Princeton sagt, oder ist es nicht das, sondern eine reflexartige Antwort auf das elementare Bedürfnis, die durch die Umstände erzwungen wird? Das Croissant verschlang sie geradezu. Im Grunde hat dieses Mädchen eine robuste Gesundheit, dachte Lifante und freute sich für sie.   - Manuel Vázquez Montalbán, Schuß aus dem Hinterhalt. Reinbek bei Hamburg 1990

 

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