nalphabet  Der Kapitän Kennedy war Irländer und konnte weder lesen noch schreiben. Den Leutnantsrang erlangte er unter dem großen Roberts, wegen seiner Begabung im Foltern. Er war unübertrefflich in der Kunst, eine Lunte um die Stirn eines Gefangenen so zuzudrehen, daß die Augen aus dem Kopf sprangen, oder ihm das Gesicht mit nesselartigen Palmenblättern zu liebkosen. Sein Ansehn erhielt die erste Grundlage, als man an Bord des »Korsaren« über den des Verrats verdächtigen Darby Mullin zu Gericht saß. Die Richter hatten sich am Kompaßhäuschen des Steuermanns niedergelassen, vor einer mächtigen Bowle Punsch, mit Pfeife und Tabak; dann begann die Verhandlung. Man wollte gerade das Urteil fällen, als einer der Richter vorschlug, vor der Entscheidung noch eine Pfeife zu rauchen. Da erhob sich Kennedy, tat seine Pfeife aus dem Mund, spuckte aus und sprach also:

»Sackerment! werte Herren und wohledle Ritter des Glücks, der Teufel soll mich holen, wenn wir meinen alten guten Freund Darby Mullin nicht aufknüpfen. Darby ist ein guter Junge, Sackerment! Ein Satansbraten, wer das Gegenteil behauptet, und wir sind wohledle Ritter, Himmelkreuzdonnerwetter! Man hat zusammen an einem Strick gezogen, Sackerment, und ich liebe ihn, weiß der Satan, von ganzem Herzen! Werte Herren und wohledle Ritter des Glücks, ich kenne ihn gut; er ist ein richtiger Halunke; wenn er leben bleibt, wird er niemals Reue zeigen, nicht wahr, mein alter Darby? Knüpfen wir ihn also auf, Sackerment! und mit Erlaubnis der ehrenwerten Runde trinke ich einen guten Schluck auf seine Gesundheit.«

Diese Rede erschien allen bewundernswert und würdig der erhabensten kriegerischen Ansprachen, die uns aus dem Altertum überliefert sind. Roberts war ganz bezaubert. Von diesem Tag an wurde Kennedy ehrgeizig. Auf der Höhe von Barbados, wo Roberts in einer Schaluppe ein portugiesisches Schiff verfolgte und nicht mehr zurückfand, zwang Kennedy seine Gefährten, ihn zum Kapitän des »Korsaren« zu wählen, und fuhr künftig auf eigne Rechnung. Sie versenkten und plünderten unzählige Segler und Galeeren, die mit Zucker und Brasil-Tabak vollgeladen waren, ungerechnet den Goldstaub und die Säcke mit spanischen Gold- und Silbermünzen. Ihr Banner war von schwarzer Seide, mit einem Totenkopf, einem Säbel, zwei überkreuzten Knochen, und darunter ein Herz mit einem Pfeil, von dem drei Tropfen Blut niedersickerten. - Marcel Schwob, Der Roman der zweiundzwanzig Lebensläufe. Nördlingen 1986 (Krater Bibliothek, zuerst 1896)

Analphabet (2)  Da der Prophet Mohammed Analphabet gewesen sei, könne er nicht den Koran als das unmittelbar von Gott an ihn gerichtete Wort selbst ersonnen oder hervorgebracht haben. Die Schönheit des Textes lasse es daher als unabdingbar erscheinen, dass Gott selbst dem Propheten den Text übermittelt habe und ihm aufgetragen habe, diesen an die Umma zu überliefern. - Wikipedia

Analphabet (3)  

Analphabet (4)  Die neuen Analphabeten - Die Zeit, in der Schreiben und Lesen können ein Privileg war, ist noch gar nicht so lange her - auch in Europa. Heute scheint es uns selbstverständlich, daß es allgemein sei. Noch aber sind Stil, Gewandtheit des Ausdrucks, Ordnung und Disposition der Gedanken ein Privileg. Mit dem Anbruch der automatisierten Epoche wird das alles wieder in Frage gestellt. Es wird eine Elite geben, die richtig auf die Knöpfe drücken und die Apparaturen verstehen kann. Wir werden wieder zu Analphabeten. Unsere Gewandtheit ist von vorgestern. Die Versuche der Künstler vom automatischen Dichten der Surrealisten bis zur neuesten Musik werden nichts helfen. Wir fallen hoffnungslos zurück. Die Gedanken müssen sich dem Medium anpassen, das sie vermittelt; auf die Dauer ist es solider als die ihm fremde Logik, die sich seiner - wenn auch durch raffinierte Anpassung - bedienen will.  - Max Horkheimer, nach (enc)

Analphabet (5)  Boris Souvarine zeigt in seinem grandiosen, wissenschaftlichen Standardwerk über Stalin, wie Rudolf Olden und Konrad Heiden in ihren Hitler-Biographien, daß man nichts Genaueres über die Jugend der beiden Herrscher Europas weiß. Man kennt nur im allgemeinen ihre Jugend als Asylist, als Barfüßler mit Volksschulbildung und Zeitungswissen. Sie haben nicht, wie Napoleon, Cromwell oder Lenin, in ihrer Jugend vor Büchern geglüht, um die Welt zu verstehen, sondern das Wissen, die Bibliotheken, traten ihnen als feindliche Elemente entgegen. Der Zynismus der Analphabeten gab ihnen den Lebenswillen und die Lebensschlauheit. Sie sehen nur die Oberfläche der Welt, den hemmungslosen politischen Schwindel, und identifizierten für immer das Sein mit dem Schwindel. Klassisch drückt Adolf Hitler diesen Glauben seiner Jugend als politische Maxime seines Daseins in »Mein Kampf« aus: »Aber nur besonders große Lügen, die so groß sind, daß eben kein Mensch glauben kann, daß sie Lügen sind, haben eine Wirkung ...« »In der Größe der Lüge liegt immer ein gewisser Faktor des Geglaubtwerdens, da die breite Masse des Volkes ... ja wohl manchmal im kleinen lügt, jedoch vor zu großen Lügen sich doch zu sehr schämen würde.«   - Valeriu Marcu, nach: Der Pfahl VII. München 1993 (zuerst 1924)
 
 

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