merika Ein
Spötter hat behauptet, Amerika sei
wie ein Land, das vom Zustand der Barbarei
direkt in die Dekadenz gefallen ist, ohne die Kultur gekannt
zu haben. Mit größerem Recht könnte man diese Definition auf
die Städte der Neuen Welt anwenden:
ihre Jugend verblüht, ohne daß sie gealtert sind. Eine meiner
brasilianischen Studentinnen kam mit Tränen in den Augen von
ihrer ersten Reise nach Frankreich zurück: Paris mit seinen rußgeschwärzten
Gebäuden war ihr schmutzig vorgekommen. Weiße und Sauberkeit
waren ihre einzigen Kriterien, eine Stadt zu beurteilen. Aber
jene Ferien außerhalb der Zeit, zu denen die Denkmäler einladen,
jenes Leben ohne Alter, das die schönsten Städte kennzeichnet,
Städte, die zum Gegenstand der Betrachtung und Reflexion geworden
und nicht mehr bloße Instrumente der Urbanität sind - dieses
Leben ist den amerikanischen Städten unerreichbar. In den Städten
der Neuen Welt, ob in New York, Chicago oder in São Paulo, das
man oft mit ihnen verglichen hat, fällt mir nicht der Mangel
an Überresten aus der Vergangenheit auf: diese Abwesenheit ist
vielmehr ein Element ihrer Signifikanz. Anders als jenen europäischen
Touristen, die schmollen, wenn sie ihren Jagdtrophäen keine weitere
Kathedrale aus dem 13. Jahrhundert hinzufügen können, bereitet
es mir Vergnügen, mich einem System ohne zeitliche Dimension
anzupassen, um eine andere Form der Zivilisation zu deuten. Aber
ich verfalle in den entgegengesetzten Irrtum: weil diese Städte
neu sind und aus dieser Neuheit ihr Wesen und ihre Rechtfertigung
beziehen, verzeihe ich es ihnen kaum, daß sie nicht neu bleiben.
Für die europäischen Städte bedeutet der Verlauf der Jahrhunderte
einen Aufstieg; für die amerikanischen dagegen bedeuten schon
wenige Jahre einen Niedergang. Denn sie sind nicht nur neu erbaut:
sie sind erbaut, um sich mit derselben Geschwindigkeit
zu erneuern, in der sie errichtet wurden, das heißt schlecht.
In dem Augenblick, da neue Stadtviertel entstehen, kann man sie
kaum als urbane Elemente bezeichnen: dafür sind sie zu glänzend,
zu neu, zu fröhlich. Man fühlt sich eher auf einer Messe, einer
internationalen Ausstellung, die nur für wenige Monate errichtet
wurde. Danach ist das Fest vorbei, und jene großen Nippsachen
verfallen: die Fassaden bröckeln ab, Regen und Ruß ziehen ihre
Furchen darauf, der Stil veraltet, und die ursprüngliche Anordnung
verschwindet unter den Abrissen, die nebenan eine neue Ungeduld
erforderlich macht. Dies sind keine neuen Städte, die mit alten
Städten kontrastieren, sondern Städte, die sich sehr schnell
entwickeln, verglichen mit solchen, die langsam wachsen. Manche
Städte Europas entschlafen sanft und allmählich; in der Neuen
Welt leben sie fieberhaft in einem Zustand chronischer Krankheit;
sie sind ewig jung und doch niemals gesund.
- (
str2
)
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