Amazonas  

 

- Tom vom 9.10.13

Amazonas (2)   Von den Gipfeln, aus den Flanken der Berge stürzen die Wasser hervor. Die Wasser wissen ihren Weg. Sie finden vom Himmel zu den Eisgipfeln, zu den Schluchten. Sie füllen die Schluchten aus und zernagen sie. Sie dringen in die Seitentäler. Aus den Quellen und Bächen werden Flüsse. Lauricocha, Quiquiacocha heißen Quellseen. Der Maranon fällt aus seinem See abgrundtief in das Tal. Sein Wasser schlägt wie ein Meißel. Die Talwände sind kahl, die Höhe glüht wie ein Schmelzofen. Den Tälern folgt er von Süden nach Norden. Nach Osten führen Hochpässe aus dem Land heraus, dem Fluß unerreichbar. Über die Pässe braust die Wut der Winde, die von Osten kommen. Sie fassen die Vögel an, die von unten heraufflüchten, die Schnepfen, Ibisse und Reiher, der Wind schleudert sie hoch, schlägt sie auf den Paßboden, treibt sie mit Hagel und Schnee vor sich gegen die Felsen in die Seen hinein. Der Fluß muß den Berg durchstoßen. Er findet das Tor. Pongo de Manseriche ist sein Tor, da muß er hindurch, er will das Gebirge verlassen. Eingeengt schießt er durch sein Tor und hat offenes Land vor sich. Das senkt sich von dem berghohen Westen, über dem die Eishäupter leuchten und die Vulkane ihren Rauch schwenken, nach Osten zu der einen gewaltigen Ebene. Es ist seine Ebene.

Und wie ein Untier mit wehender Mähne springt der Amazonas vom Gebirge in seine Ebene herunter. Seiner Kraft schließen sich rechts und links Wasser an, als hätten sie aufsein Erscheinen gewartet. Aufweite Strecken hin wirkt sein Erscheinen. Sie biegen um, sie folgen angelockt und senken sich in sein Wasser, wo sie verschwinden.

Der Amazonas hat das Gebirge durchbrochen, er trägt es mit sich. Was ihn eingeengt hat, was er angefaßt und zerknirscht hat, lagert er als seinen Raub, Schlamm und Staub vor sich, unter sich, breitet es in der Ebene aus, die er durchwallt. Seine Ebene war einmal eine weite Bucht, das Meer füllte sie aus, er treibt das Meer zurück und wird, wie ihm hundert Ströme von rechts und links ihr Wasser zutragen, ein fließendes Süßwassermeer.

Seine Flüsse sind weiß und schwarz. Er selbst weiß. Hundert Meter ist er tief. Am Anfang und am Ende noch einmal so tief.

Wenn er seine Ebene verläßt, ist er so stark, daß er im Meer auf Meilen hinaus Schiffe fortstößt. Bäume schleppt er hinaus. Das Meer um sich färbt er weiß.

Über seinem Land liegt die heiße Sonne. Da wachst in der Ebene der Urwald auf, die Tiere wimmeln. Es schießen auf die Palmen, Bambus, Kautschukbäume, die Farne, Schlinggewächse, der Eukalyptus. Sümpfe, Galeriewälder, die die Flüsse begleiten, das schwimmende Mangrove. Über dem Wasser schwirren die bunten Kolibris. Die Krokodile lassen sich von der Strömung treiben. Das Faultier klagt am Baum. Die Anakonda geht auf Affenjagd. Und tausend Arten Fische trägt das pulsierende Wasser und läßt sie vergehen.  - Alfred Döblin, Amazonas-Trilogie. Bd.1, Land ohne Tod. München 1991

Amazonas (3)  Amazonien! Wie lange hat es gedauert, bis die Pororoca wasserwolkenlärmend in deinen Strom sich wälzt! Einmal Meer, das gegen granitene Küsten eines Urlands im Osten brandet, Inseln aus sich hebt, sumpfig und üppig wie nur im tropischen Sumpf, und Insel sich an Insel schließend, dein Meer versinkend und vertrocknend: Land! Dann die Küste wieder eines gewaltigen Meers, auch das zerfällt, versandet und verdünt und verfrachtet seine Wasser in mächtige westliche Ströme, bis die aufbäumende Cordil-lera ihnen den Weg vertritt und mit ihren eigenen Wassern vereint sie einen See bilden heißt, mächtig und breit, überströmend und seine Buten in gewaltigen Rinnen in den Ozean werfend: da ward dein Amazonas! da rollte der Wasserwolkenlärm rauschend und brausend deinen Strom hinan - Amazonas!

Hochwassergeschwollen, gelb und trüb, verfilzte Pflanzenbarren und umgestürzte Bertholletien tragend, wälzte er sich unabsehbar zwischen seinen Inseln ins Meer. Wo der Tapajos sein flaschengrünes Wasser in ihn wirft, wo am Ufer Mumbakapalmen, langarmige Heveen und Bambusse eine schwermütige Linie ziehen und die Victoria regia ihre grünen Blatteller wiegt - lag still und stumm unser Musarion und ließ die schlaffen Saiten seiner Riesengeige im Morgenwind summen.   - Gustav Sack, Ein verbummelter Student. Stuttgart 1986 (zuerst 1918)

 

Brasilien Strom

 

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