Altruismus  In lone in Kalifornien, in der Preston-Jugendstrafanstalt, hatte Freddy sich wiederum hervorgetan: Er hatte mitgeholfen, den Ausbruch eines Jungen namens Enoch Sawyer zu planen. Enochs Vater hatte seinen Sohn beim Onanieren erwischt und den Jungen kastriert. Mr. Sawyer war ein tiefreligiöser Mann, und Masturbation betrachtete er als eine ruchlose Sünde gegen Gott. Mr. Sawyer wurde verhaftet, aber wegen seiner kirchlichen Verbindungen und wegen des Lobliedes, das der Pfarrer in seiner Zeugenaussage auf ihn anstimmte, wurde er zu zwei Jahren Gefängnis mit Bewährung verurteilt. Doch als der junge Enoch, damals erst fünfzehn Jahre alt, von seiner unfreiwilligen Operation genesen war, hatte er sich zum Schrecken der Nachbarschaft entwickelt. Seiner Hoden beraubt und von seinen Schulkameraden verspottet, hatte er beinahe täglich seine Männlichkeit dadurch demonstriert, daß er einen oder auch mehrere seiner Peiniger halb totschlug. Er fürchtete sich vor nichts und konnte unglaubliche Strafen auf sich nehmen, anscheinend ohne zu bemerken oder sich darum zu scheren, wie schmerzhaft sie ausfielen.

Schließlich, mit siebzehn, war Enoch als eine unverbesserliche Bedrohung für den Frieden von Fresno, California, ins Preston-Gefäng-nis eingeliefert worden. In Preston, in der Gesellschaft einiger höchst abgebrühter junger Strafgefangener, hatte Enoch sich wiederum genötigt gesehen, seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen, indem er andere Leute zusammenschlug. Seine Technik bestand darin, daß er auf jemanden -auf irgend jemanden -zuging und seinem Mitgefangenen eine harte Rechte in den Bauch oder unters Kinn rammte. Sodann fuhr er fort, auf sein Opfer einzuprügeln, bis der Betreffende sich entweder zur Wehr setzte oder die Flucht ergriff.

Enochs Anwesenheit im Schlafsaal war eine Beunruhigung für die übrigen Insassen. Freddy hatte sich, um das Problem zu lösen, mit ihm angefreundet und einen Fluchtplan ausgearbeitet, und Enoch hatte er erzählt, er könne den Behörden ein für aliemal beweisen, was für ein Mann er sei, wenn er einfach ausbreche. Aus Preston auszu-brechen war nicht so schwierig, und mit Freddys Hilfe entkam Enoch mühelos. Er wurde vier Tage später in Oakland gefaßt, wo er versucht hatte, drei mexikanische Erntehelfer zu verprügeln und ihren Laster zu stehlen. Die drei überwältigten ihn, traten ihm seine verbliebenen Schneidezähne ein und übergaben ihn der Polizei. Enoch erzählte den Beamten in Preston, Freddy habe seinen Ausbruch für ihn geplant, und daraufhin wurde Freddy der Straferlaß gestrichen. Statt der zu erwartenden achtzehn Monate verbrachte er ganze drei Jahre dort. Darüber hinaus mußte er eine böse Tracht Prügel einstecken, nachdem Enoch wieder nach Preston gebracht worden war.

Im Loch in San Quentin, wo es nicht völlig finster war - ein dünner Lichtstreifen ließ die Unterseite der Tür erkennen -, dachte Freddy angestrengt über sein Leben nach. Sein Herzensanliegen, das Wohlergehen anderer, war stets die Wurzel seiner Probleme gewesen und hatte sein Leben schlimmer statt schöner gemacht. Und wirklich geholfen hatte er dabei auch niemandem. Da beschloß er, sich nur noch um sich selbst zu kümmern.  - Charles Willeford, Miami Blues. Reinbek bei Hamburg 1994

Altruismus (2)
 

Hilfsbereitschaft

 

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Verwandte Begriffe
Kooperation Gegenseitigkeit

Egoismus

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